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TIZIAN
VON,
UND ALFONSO
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1.
In den Augen der meisten Kritiker früherer Zeit lag hierin
das ausschliessliche Geheimniss der Kunst Giorgiones, was inso-
fern wohl Berechtigung hatte, als Giorgione unstreitig derjenige
Meister ist, durch welchen zuerst das Porträt-Idyll zur vollen
künstlerischen Geltung kam. Diese Eigenthümlichkeit der Auf-
fassung tritt sogar noch deutlicher hervor, wenn wir den Kopf
des Jünglings mit seinem reichen Lockenschmuck betrachten,
dessen Form genau die Bildung hat, welche Giorgione liebte.
Dagegen dürfen wir wohl Zweifel hegen, ob Giorgione im Stande
gewesen wäre, so glatt und doch so glänzend, so vollkommen
nach allen Regeln höchster Kunst zu malen, wie Tizian es hier
gethan hat. Die genaueste Beobachtung der Natur, auf einem
Studium beruhend, das Donatello kaum weiter getrieben hat,
spricht aus der gewissenhaften Richtigkeit der Behandlung, die
den einzelnen Repräsentanten der verschiedenen Lebensstuien ge-
geben ist, und der ganze Gegenstand ist mit so lückenloser Ein-
heit der Mittel dargestellt, dass er in seiner Weise schlechthin
den Eindruck der Vollkommenheit hervorruft. Kein Wunder da-
her, wenn für dieses Bild wie für das Bacehanal die folgende
Künstlergeneration die vollste Sympathie an den Tag legte. In
Rom besitzen wir allein zwei Copien davon, eine dlitte in Eng-
land und eine vierte in Deutschland. i"
steht. Das Bild ist mit der Zeit etwas verblichen, im Uebrigen aber gut erhalten.
Vasari (XIII. S. 25), der es in Faenza im Hause des Giovanni da Castel Bolognese
gesehen hat, gibt an, es sei für dessen Schwager gemalt gewesen. Später kam es
in Besitz des Cardinals von Augsburg (s. Sandrart, Accad. nob. art. piet. F01. 1863,
S. 165) und dann in die Sammlung der Königin Christine von Schweden (s. Cam-
pori, Racc. di cata1., S. 344); von dort in die Sammlung Orleans und endlich in
die Sammlung Bridgewater, jetzt Ellesmere in London. Giovanni da Castel Bolo-
gnese war, wie wir aus Aretinds Cortigiana S. 90 erfahren (s. Quattro Comedie del
divino P. Aretino, Venedig 1588) eine Zeit lang in Venedig ansässig und dort Gönner
des Luigi Aniehini. (Ein flüchtiger Stich befindet sich in Lefebrds „Opera selectioraä)
24 Das Exemplar in der Galerie Doria in Rom ist sehr verdorben, aber
offenbar von einem Nachahmer der Copisten; ein zweites in der Galerie Borghese
wird von Etliehen dem Giorgione, von Anderen dem Sassoferrato zugeschrieben.
NOCh ein anderes, ehemals in der Sammlung Manfrin, dann in der Sammlung
Barkelä kam in den Besitz des Earl of Dudley und gilt für Giorgione, allein
die scharfen T5118 und die Flüchtigkeit des Vortrags deuten mehr auf die Hand
des P. Lß-nlßni oder einen Nachfolger der Dossi. Ob eins dieser Bilder dasjenige
sei, welches Martinioni in seiner Ausgabe von Sansovinds Venezia deseritta S. 377