BILDNISSE ARIOSTS.
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Es ist sehr schwer, mit Worten den wunderbar reinen, blühen-
den Schmelz dieses Gemäldes zu beschreiben, welches die früheren
Leistungen auf dem Gebiete des Bildnisses ebenso übertrifft wie
das Bacchanal über ähnliche Versuche der früheren Zeit auf
seinem Gebiete hervorragt. Blickt man zurück auf die höchsten
Muster der Gattung am Beginn des Jahrhunderts, wie z. B. Anto-
nello's "Condottiere" im Louvre oder Bellini's „Loredan" in der
Londoner National-Galerie, so erwecken schon sie den Eindruck,
die Kunst sei hier auf einem unüberschreitbaren Gipfel angelangt.
Aber Tizian erscheint, seine Kunst thut dennoch diesen Schritt,
und mehr noch: sie lässt uns zugleich, wie die Naturkraft auf
erhöhter Stufe, auch noch fernere Vervollkommnung ahnen.
Das oben beschriebene Porträt gilt, wie gesagt, für das Bild-
niss Ariost's. Es kommt zuweilen vor, dass Malern dieselben
Gesichtszüge ganz verschieden erscheinen, und so kann auch
Tizian zu verschiedenen Perioden andere Eindrücke von Ariost's
Physiognomie empfangen haben, und umso mehr begreifen wir,
wenn andere Maler, denen der Dichter sass, seine. Zuge viel-
leicht in einer von Tizian's Auffassung sehr abweichenden Weise
wiedergegeben. Mit dieser Bemerkung zielen wir auf einander-es
Porträt, welches Ariost darstellen soll und das man ebenfalls
Tizian zuschreibt. Es befindet sich in der National-Galerie zu
London
und
weicht
hohem
Grade
VOII
dem
Cobham
Hall
London,
National-
Galerie.
ab, wogegen der Holzschnitt, das der letzten von Ariost selbst
mit Correkturen versehenen Ausgabe des Orlando furioso beigefügte
Profil, wiederum sich weder mit dem einen noch mit dem andern
dieser Typen vollkommen deckt. Auf den ersten Blick möchte
schwerlich ein einnehmenderes Bildniss zu finden sein als das der
National-Galerie. Die Haltung ist gedankenvoll; die linke Hand
spielt mit einem Rosenkranz, die rechte hält ein Paar Handschuhe;
das Gesicht zeigt offenen, doch etwas sinnlichen Ausdruck, das
Haar fällt in reichen Massen in den Nacken. Das Wamms schliesst
ein gefälteltes Hemd, Aennel von rothem wattierten Seidendamast
Er ist bezeichnet „Ioaehimus
i_n aedibus Alph. Lopez."
Hall genau stimmt.
E Titiani prutotypo
excud.
Sandrart del. et
Amsterd.