Volltext: Tizian (Bd. 1)

LÖÄ 
TIZIAN 
ALFONSO 
VON 
ESTE. 
CAP 
beladenen Aesten; zwischen den Stämmen ein Haus, weiter ent- 
lernt Bäume und klaren blauen Himmel, an dem Weisse Wölkchen 
dahinschwimmenf 
Die Darstellung beruht auf einer Stelle des Philostrat: „Du 
siehst 4' so schreibt er .„Liebesgötter Aepfel pflücken, bist viel- 
leicht erstaunt über ihre Anzahl, es sind aber die Abkömmlinge 
der Nymphen, welche alles Irdische lenken und ihre Menge ist 
so gross wie die Mannigfaltigkeit der Wünsche des Menschen- 
geschlechtes    Anmuthige Wege ziehen sich durch den Garten, 
ein schwellender Rasen ladet zur Ruhe ein, aber die goldenen 
Aepfel in den Zweigen reizen mit ihren rothen Bäckchen den 
Appetit der Kleinen. Sie haben ihre goldenen Pfeile und Bogen 
an die Zweige gehängt und tummeln sich in Schwärmen auf dem 
Platz. Bunt auf dem Boden verstreut liegen ihre Kleider; statt 
der Kränze spielt reiches Lockenhaar um ihr Haupt. Blau, golden 
oder buntfarbig sind ihre Flügel, das Rauschen derselben tönt wie 
Musik. Aus Carneol, Smaragd oder Perlen sind ihre Körbe 
gearbeitet, in denen sie Aeptel sammeln, sicherlich Arbeiten des 
kunstreichen Hephaestos. Leitern zum Besteigen der Bäume brau- 
chen sie nicht, ihre Flügel tragen sie hinauf in die Zweige; sie 
tanzen und springen, sie ruhen und schlummern oder verspeisen 
ihre Aeptel. Vier dieser Holdchen sind dort bei einander. Einer 
wirft dem Andern einen Apfel zu, ein Dritter schiesst seinen Pfeil 
ab, aber es ist nichts Verstecktes in ihm, denn er hat die Brust 
dem Schafte entblösst. Die Allegorie, welche der Maler uns 
hier verführt, soll ohne Zweifel Liebe und Sehnsucht bedeuten. 
Die Kleinen, die mit den Aepfeln spielen, versinnlichen die Liebe, 
 so das Kind, welches einen Apfel küsst und ihn dann seinem 
Gefährten zuwirft, der ihn mit beiden Händen auffängt, um ihn 
zweifelsohne ebenfalls zu küssen und ihn dann zurückzuwerfen. 
 
8 Madrid, Museo del Prado N0. 451, Leinwand, h. 1,72, br. 1,75 mit der 
Marke des Escurial „N. 102 Di Ticianus" auf dem weissen Tuch im mittlen Vorder- 
grimd. Die Farbeniiäßhe ist im Ganzen gut erhalten, wenn auch einige Ueber- 
malungen am Himmel und Nachbesserungen an der Gestalt des Mädchens mit dem 
Spiegel bemerkbar sind. Ueber Adie Art und Weise, wie es aus Ferrara nach Spanien 
gekommen, sprechen wir noch. Ein Stich darnach wurde 1636 von G00. Andrea 
Podesta aus Genua in Rom gemacht; er gibt das Bild von der Gegenseite.
	        
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