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TIZIAN
UND ALFONSO
VON
ESTE.
CAY.
Locken des Hauptes, in die Spitzen seines Schnurrbartes und den
wohlgepfiegten kastanienbraunen Vollbart. Die breite Stirn, in
deren Mitte das Haar schraubenförmig hineingekämmt ist, über-
höht gewölbte Brauen, unter denen ein klar und oifen blickendes
Auge hervorschaut, die kurze aber hübsch geschnittene Nase, die
edle Haltung und geschmackvolle Kleidung geben ein anziehendes
Ganze. Die Linke ruht mit ungekünstelter Geber-de auf dem Griff
des Schwertes; die Rechte, zum Theil von Spitzen verdeckt,
streichelt den seidenloclaigen Rücken eines Hundes. Ein dunkler
goldbesetzter Rock, ein Rosenkranz um den Hals und eine grüne
Schärpe auf der Brust mit der Inschrift "Ticiano" vervollständigen
das von dunkel aschiarbenem Grunde abgehobene Bild.
Trotz der Verputzungen und Uebermalungen, welche es im Laute
der Zeit erfahren, ist es noch heute ein Zeugniss von Tizian's
ausserordentlieher Geschicklichkeit und Kraft; selbst die gebrochen-
sten Farbenstimrnungen haben eine Frische und Leuchtkraft be-
wahrt, die nicht allein unübertrotien in ihrer Zeit dasteht, son-
dern die überhaupt nur ein Tizian hervorzubringen im Stande
War. Der Stil und die vollendete technische Behandlung des
Porträts deuten darauf hin, dass man es der Periode zuschreiben
darf, welche dem "Bacehanal" zu Madrid unmittelbar voranging,
eine Wahrnehmung, welche auch das Alter, in dem der Dargestellte
allem Anscheine nach steht, bestätigt. „Dreihundert Scudi", sagt
Dolce, nwurden von Alfonso für dieses Kunstwerk gegeben, das
Michel Angele i. J. 1529 höchlich bewunderte." Dieselbe Summe
ist möglicherweise für das Bildniss der Herzogin gezahlt worden,
über das nichts Näheres gesagt werden kann. Kurze Zeit später
erhielt Tizian einen anderen Auftrag, indem er auf Einem Bilde
Alfonso und Laura Dianti darstellen musste, welcher der Herzog
nach Lucrezia's Tode (1519) seine Liebe erklärt hatte.
Neben den Bildnissen entstanden für Alfonso noch eine Reihe
von Gemälden religiösen und mythologischen Inhalts. Das der
Zeit nach erste ist die „ Anbetung der Venus", welche einst das
Studio des Herzogs schmückte und gegenwärtig im Museum zu
L
Dulcc,
Dialogo S.
Vasari
XII.
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