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TIZIAN
STAATSDIENST.
Zutritt beim Hofe von Ferrara, wohin in früheren Tagen Bellini
ausschliesslich eingeladen worden war.
Ferrara und Mantua, die beiden an dem unteren Lauf des
P0 gelegenen Fluss-Staaten, waren lange Zeit von getrennten
Dynastien regiert worden, die unter der Obergewalt Venedigs an
Kraft und Ansehn rasch emporwuchsen. Das völlig in die Macht-
sphare der Republik gebannte Ferrara war durch die beharrliche
Politik der venezianischen Signorie zahm gemacht, gedrückt und
niedergehalten worden. Der natürliche Ehrgeiz eines Vasallen,
sich der Abhängigkeit zu entziehen, hatte die Herzöge öfter in
den Krieg getrieben; und ihre Beziehungen zu dem suzeranen
Staate boten gar manchen Anlass, ihren Stolz zu reizen oder zu
verletzen. Denn Venedig regierte ein ganzes Viertel von Ferrara
durch seine eigenen Beamten; es verbot die Bereitung und
Gewinnung von Salz, obgleich Salz das Naturproduct des com-
macchianischen Marschlandes war; und es monopolisierte die Schiff-
fahrt auf dem adriatischen Meer und dem Po, obwohl Ferrara
die Mündungen des Flusses beherrschte und natürlichen Zugang
zu den Ufern des Meeres hatte. Gleichwohl blieben die Herzöge
von Ferrara in strenger Unterwürtigkeit, so lange es Italien über-
lassen war, seine eigenen Spähne ohne fremde Einmischung aus-
zufechten, und trotz gelegentlicher Auflehnungen, welche sogar
Landverlust nach sich zogen, gelangten sie mühelos in den Besitz
grosser Reichthümer, die sie durch Prachtaufwand verwertheten.
In keiner Geschichte italienischer Kultur dürfte die Würdigung
der literarischen und künstlerischen Thatigkeit fehlen, welche die
Regierungszeit Lionellds, Borso's und Ercole's von Este aus-
zeichnete. Malernamen hohen Ranges reihen sich an die der ge-
nannten Fürsten unzertrennlich an. Vittor Pisano, Piero della
Francesca und Roger van der Weyden haben als hochangesehene
Männer in Ferrara ihre Kunst geübt, Bono, Galasso, Cossa und
Tura waren einheimische Meister, die einen aus paduanischei-
Härte und dürerischer Kraft gemischten Stil populär machten.
Am Ende aber theilte Ferrara, wiewohl es einen Hof besass und
ndurch seine Fürsten" wenigstens im Kleinen „gross ge-
worden das Loos aller abhängigen Staaten. Der üppigen Lebens-