Volltext: Tizian (Bd. 1)

CAP. 
GIOVANNI 
"WETTKAMPF MIT 
BELLINI. 
131 
Vivarinfs war Niemand in der Lage gewesen, ihm den Rang 
streitig zu machen; ja, als man i. J. 1507 genöthigt war, die 
Vollendung von Vivarinfs unfertigen Gemälden zu beschleunigen 
und Bilder für zwei leere Flächen eomponieren zu lassen, war 
Carpaecio zwar als für diese Arbeit befähigt mit Ausführung 
eines dieser Gemälde unter Beihilfe des Girolamo und Vittor di 
Matteo betraut worden, doch empfing Bellini ausdrücklich An- 
weisung, deren Arbeit zu überwaöhen," Für einen Mann von so 
hervorragender Vertrauensstellung musste, wie abgebraueht seine 
Kräfte auch sein mochten, die Erhebung Tizian's zu seinem Neben- 
buhler einer Beleidigung, fast einer Absetzung gleichkommen, und 
wir werden bald erfahren, dass Bellini trotz seiner hohen Jahre 
keineswegs geneigt war, seinem neuen Gegner ohne Widerstand 
das Feld zu räumen. 
Schon im Juni, so schreibt Sanuto, war Tizian angewiesen 
worden, in der Grossen Rathshalle unter denselben Bedingungen 
Wie-Bellini und Carpaceio zu arbeitenfs Er hatte Erlaubniss er- 
halten, seine Werkstatt bei San Samuele aufzurichten, wo Gebäude 
lagen, die, vordem im Besitze des Herzogs von Mailand, jetzt 
Staatseigenthum warenfg Hier hatte Bartolommeo Bon, der Stadt- 
baumeister, seine Wohnung gehabt, hier wohnte nunmehr Tizian 
und hielt seine Gehilfen, Antonio Buxei und Lodovico di Gio- 
vannifo Hier auch hatte er die Skizze oder wie es damals ge- 
nannt wurde, das „Modell" zu dem für die Grosse Rathshalle 
bestimmten Bilde entworfen. An der Biegung des grossen Kanals, 
genau westlich vom Markusplatz befindlich, war die Werkstatt, 
gleichweit entfernt vom Dogenpalaste und der Rialtobrüeke, durch 
17 Lorenzi a. u. O. S. 142; vgl. der Verff. Gesch. der ital. Malerei (deutsche 
Ausgabe) V. S. 212 u. a. O. 
18 Sanuto, Diario V01. XVI. S. 287, 31. Juni  1513 nach dem handschrift-l 
liehen Auszugwon Cicogna. in den Anmerkungen zum Anonymus des Morelli (s.  
vgl. auch Ciani, Storia parto II. S. 299. 
w Lorenzi a. a. O. S. 187. 
2" Lodovico di Giovanni (oder di Zuane) war i. I. 1508 Giovanni Bellinfs 
Gehilfe im Rathssaale gewesen, damals mit einem Gehalt von zwei Dukaten monat- 
lich (s. Lorenzi S. 142, 145 und 146). Im J. 1509 erhob sich Klagegegen ihn, 
weil er seine Arbeit ohne Urlaub verlassen hatte und er wurde in Folge dessen er- 
setzt, s. ebenda S. 150. ,  
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