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TIZIAN
IM STAATSDIENST.
Texte. Navagero, erst Poet, Redner und Literat, trat später in
den diplomatischen Dienst seines Vaterlandes. Aber auch in der
Zeit, die uns gegenwärtig beschäftigt, war er nicht ausschliesslich
durch schriftstellerische Arbeiten in Anspruch genommen. Seinem
Ehrgeize genügte es nicht, den Pindar, Cicero, Quintilian und
Lucretius collationiert zu haben; er war es auch, der vor dem Dogen
und Senat eine Rede zum Preise Catarina Cornaro's hielt und der
nachmals (i. J. 1515) den Nekrolog auf Bartolommeo Dalviano
Vortrag. Gegen Ende des Jahres 1512 oder Anfang 1513 war
Bembo in Rom, Navagero in Venedig; der Erstere um die Gunst
der Medici buhlend, der Andere auf Beförderung in der Heimath
rechnend. Plötzlich starb Julius II. Das Oonclave trat im März
zusammen und Bembo wurde nebst Sadolet zum Secretär des mit
dem Namen Leo X. auf den päpstlichen Stuhl erhobenen Gic-
vanni de' Medici ernanntfi Die Dinge, welche wenige Tage nach
diesem Ereigniss sich zutrugen, beweisen genugsam, dass Bembo
und Navagero sich wohl bewusst waren, zu welchen Erwartungen
Tizian's Ruhm berechtigte. Sie lassen erkennen, dass, wie sehr
auch die Humanisten oder Hellenisten im Allgemeinen sich über
Künstlern erhaben fühlten, dennoch ein greifbarer Berührungspunkt
der Interessen zwischen beiden bestand. Jedenfalls unterschätzten
sie den Werth des Nimbus nicht, den ein Meister von hoher Be-
gabung über intelligente Gönner oder den einsichtsvollen Staat
auszugiessen vermochte. Sicher ist, dass Bembo dem Tizian vor-
schlug, in Leo's X. Dienst zu treten, wie es andrerseits zweifellos
ist, dass N avagero ihm von diesem Schritte abrieth." Ob Bembds
Plan aus seinem eigenen Kopfe entsprang oder 0b er vom Papst
dazu, angeregt worden sei, wird schwerlich festgestellt werden
können. Giovanni de' Medici, wiewohl er dereinst im Exil in
Venedig gelebt hatte, war doch zu lange in Rom, um Etwas von
Vecelli zu wissenli Das hindert aber keineswegs seine Geneigtheit
13 Pietro Bembo, Opera in 8". Basel 1556, lib. XU- S- 519-
1 14 Vasari XIII. S. 27 und Dolce, Dialoge S. 67.
15 In den Gesandtschaftsberichten des Paolo Capello von 1500 und 1510 wird
Giovanni de' Medici als einflussreicher Cardinal in Run: erwähnt, s. Albcri, Rola-
zioni (Iegli ambasc. Ycneti III. S. 5 und '23.