Volltext: Tizian (Bd. 1)

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TIZIAN 
STAATSDIENST. ÜAY. V. 
Spirito i. J. 1655 nach Sta. Maria della Salute übertragen wurde, 
ist noch in ihrem gewissermaassen ursprünglichen Zustande zu 
sehena, und wir gewahren mit Interesse, wie genau Tizian noch 
immer den Vorschriften Palma's und Giorgionds nachging, ehe 
er jenen erhabenen Aufschwung nahm, der das dauernde Gepräge 
der Leistungen seiner Reife bildet. Sein auf künstlerische Führer- 
schaft gerichteter Ehrgeiz fand schon damals mehr und mehr Be- 
friedigung; theils infolge der abnehmenden Kraft Giovanni Bellinfs 
und Carpaccids, die nicht mehr im Stande waren, grossen Auf-' 
gaben Genüge zu thun, theils infolge des Wegganges von Seba- 
stian Luciani; hauptsächlich jedoch seit dem vorzeitigen Tode 
Giorgionds, in dessen Stellung er fast widerspruchslos einrückte. 
Eins der schönsten Denkmäler aber, die sich dieser grosse Geist 
gestiftet, liegt darin, dass Tizian auch jetzt noch in der Macht- 
sphäre seines Stileiniiusses blieb. Mit Vasari empfindet bis auf 
den heutigen Tag Jeder, der die Werke dieser Zeit ernstlichem 
"Studium unterzieht, in dem Markusbilde Tizian's die Nachwirkung 
des Giorgione, die so gross ist, dass wir wohl begreifen, wie das 
Gemälde geradezu für dessen Erzeugniss gehalten werden konntef 
Im Jahre 1512 konnte eine solche bildliche Verherrlichung 
des Schutzheiligen der Lagunenstadt als Ausdruck der demüthigen, 
aber zuversichtlichen Hoffnung gelten, dass es mit der schwer 
bedrängten Republik doch noch gut gehen möchte; Tizian's Markus 
aber erhebt sich weit über solche Vorstellung. Hoheitsvoll und 
gebieterisch sitzt er da, als sollten die Gesetzbücher, auf welchen 
seine Hand ruht, der ganzen Welt dietiert werden. Das Blutzeug- 
niss ist neben ihm in Sebastian, die Pestkrankheit durch Rochus 
angedeutet; beiderlei Leiden aber sind überstanden; daran zu erin- 
nern, sind, wie es scheint, die beiden heiligen Genossen Cosmas 
und Damian gegenwärtig, die links zur Seite im Gespräch stehen? 
Venedig, 
S. Maria 
d. Salute. 
3 vgl. Vasari XIII. S. 22, Bosehini, Ricche Min. (Venedig 1674), Sest. Dorso 
Duro S. 25, 26; Ridolü I. S. 198 _und Zanetti, Pitt. Ven. S. 143. Ausserdcm ist 
zu beachten, dass die Kirchen Sauto Spirito und Spirito Santa, wo Tizian ebenfalls 
ein Altarstuck malte (s. Sansovino, Von. descr. S. 272) verschieden sind. 
4 Vasari XIII. S. 22. 
5 Die Pest, welche in Venedig während des ganzen Jahres 1510 wüthete. raffte 
nicht weniger als 20,000 Menschen hinweg; vgl. Sansovino, Cron. ad unnum.
	        
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