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JUGENDWERKE
IN VENEDIG
UND
PAD UA.
CAP
Hintergrunds lostritt. Kein grösserer Gegensatz denkbar als zwi-
scheu der Gelassenheit gottmenschlicher Majestät und dieser ver-
schmitzten Niedertracht: dort zarteste Modellierung der Züge, fein
geschnittener Mund, sanft lächelnde Augen, hier knochige Derb-
heit und verwitterte Tücke. M Es sind Wirkungsmittel, die Tizian
von Palma entlehnte und auch mit dessen Verfahren anwendet,
wenn er die zarte Complexion und die Marmor-glatte der Haut
seines Christus mit dem rauhen wettergegerbten Gesichte des Ver-
suchers zusammenstellt. Aber der Contrast ist vollkommen durch-
geführt, Dieselbe physiognomische Sprache reden die Hände. Die
Rechte des Heilands, „die fast mit jedem einzelnen Finger" so
anmuthvoll und natürlich nach dem Bilde des Kaisers auf der
Münze weistäs, ist männlich trotz ihrer Zartheit und Blässe und
nicht minder thatkrättig als die linkische Arbeiterfaust des Phari-
säers mit ihren lederhaften Schwielen. Es ist der gebräunte
nervige und behaarte Arm eines Bootsmannes im Werktagshemd,
der sich mit der krampfigen Energie, wie sie den gemeinen Volks-
klassen eigen ist, wenn sie Geld berühren, der vornehmen Er-
scheinung entgegenstreckt, die in jeder Geberde weihevolles Innen-
leben Wiederspiegeltfß Zu diesem idealen und lebendigen Gepräge
54 s. v. Quandtfs "Begleiter", angeführt in W. Schäfers vorzüglichem Werke
„Die königl. Gemälde-Galerie zu Dresden", Dresden 1859, II. S. 285.
55 vgl. Quandt a. a. O.
56 Dresden, Museum N. 222, Holz, h. 0,75, br. 0,56, bezeichnet auf dem
Kragen des Pharisiiers "TICIANVS. F." Nach Vasarfs Angabe XIV. S. 24 ehe-
mals auf der Täfelung einer Schrankthür im Studio Alfonsds I. von Ferrara, kam
das Bild später in die Sammlung des Herzogs von Modena und mit dieser 1146
nach Dresden. Es wurde hier durch Palmaroli restauriert und hat etwas an Farbe
eingebusst, besonders die Partie um Nase und Kinn Christi; das Haar links vom
Gesicht und der Hintergrund an der rechten Seite desselben sind übermalt, die
Umrisse theilweis übergangen und etliche Schatten durch iiüssige dunkle Nachhilfe
verstärkt. Die ungemeiue Blässe des Fleisches rührt von der Entfernung zarter
Lasuren an den Uebergängen von Haar und Stirn her. Der Pharisäer ist weniger
berührt, doch hat auch er kleine Schäden durch Abputzen erlitten und der Umriss
des Proüles it an einigen Stellen nachgebessert. Eine Wiederholung des Bildes
von der Hand des Meisters gibt es nicht, wohl aber verschiedene Copien, eine von
Torre im Dresdener Museum selbst, eine zweite in der Sammlung Grosvenor in
London mit der Bezeichnung „TISIANVS (sie) E", noch andere in den Galerien
der Uffizien und in Parma (letztere offenbar dieselbe, Welche in einem ferne-
sischßll Inventur V- J. 1680 aufgeführt ist, s. Campori, Raccolta di cataloghi S. 245),