MADONNA
MIT
BRIGITTA
MADRID.
durchhauehtem Grau und erreicht eine wirkungsvollere Abtönung
der Schatten durch contrastierende Striche von bleifarbenem Ton;
aber dies ganze Verfahren, schmelzend verhüllt wie es ist, lässt
dem Bilde die volle Frische, und durch Anwendung eines wunder-
bar feinen Lasursystems erzeugt es die fieckenloseste Reinheit.
Eine ebenbürtige Leistung befindet sich in England: das England,
reizende Bild in Burleigh-House, das die Jungfrau darstellt, wie Bäiilih"
sie, auf einer Steinbank im Vordergrunde einer Landschaft sitzend,
mit grosser Zärtlichkeit auf das Jesuskind schaut, das, in ganzer
Länge auf ihrem Schoosse ruhend, ihr zulächeltf"
Auf der Tafel mit Sta Brigitta in Madrid gilt der männliche
Heilige in Waüenrüstung für St. Hulfus, den Gatten der Heiligen,
der porträtartige Charakter des Kopfes jedoch legt die Annahme
nahe, dass unter der Gestalt eines Heiligen sich hier das Abbild
des Stifters verbirgt. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Leute,
die ihren Kindern ein Andenken zu hinterlassen wünschten, in
dieser Form porträtirt wurden, jedoch blieb man dann bei der
Büstenfbrm des Bildnisses, wie sie im 14. Jahrhundert festgestellt
war, und in dieser Begrenzung erscheint Tizian als Nachahmer
Giovanni Bellini's und Antonellds. Schon zur Zeit noch sehr nied-
riger malerischer Bildung hatte sich die Vorliebe der Venezianer
für das Porträt kundgegeben, wie die zahlreichen Dogen-Bilder
beweisen. Mit der Vervollkommnung der Kunst nahm diese Neigung
zu; es wurde eine Art Vorrecht des Talentes, das Conterfei der
höchsten Würdenträger des Staates abzunehmen. Wir werden
bald sehen, wie Tizian im Laufe der Jahre in den Genuss jenes
Privilegiums gelangte. Während des Zeitraums, den wir jetzt
behandeln, hatte Giovanni Bellini dieses Ehrenrecht inne und
seinen Schülern war es versagt, den lebenden Dogen zu malen.
Wohl aber mochte es geschehen, dass auf Wunsch der Familie
eines Verstorbenen dessen Porträt durch jüngere Künstler ver-
vielfältigt wurde. Auf diese Weise gelangte Tizian dazu, am
4" BurIeigh-House, Sitz des Marquis von Exeter, Halbiiguren in halber Lebens-
grösse, nicht frei von Restaurationsschäden. Leichte Nachbesserungen finden sich
am Kopfe Mariefs und am obern Theile der Figur Christi.