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MADONNA
FLORENZ.
Spende-Lust. Diesmal beugt sich der himmlische Knabe von
seiner Mutter Sehooss herab und erfasst die Rosen, die Johannes
ihm darreieht, oder richtiger: er hat schon so viel umfasst, als
die Aermchen nur vermögen und der Gespiele hat nur noch einen
Strauss davon in der Hand. Die zu dem Vorgang lächelnde Jung-
frau sitzt unter dem Schutz eines braunen Teppichs in landschaft-
licher Umgebung, zu ihrer Seite der weisshäuptige und bärtige
Antonius mit seiner Glocke auf den Stab gelehnt. Sein Antlitz
ist nach Typus und Regelmässigkeit der Züge fast lionardesk zu
nennenfi
Nichts war bis dahin aus Tizian's Hand hervorgegangen, das
diesem Werke an Lieblichkeit des Tones, Freiheit der Modellie-
rung und geschickter Benutzung der Natur zu vergleichen wäre.
Bei a1l' der zauberischen Wirkung und Vollendung, in welcher
die Kunstverwandtschaft des Meisters mit Palma besteht, haben
wir doch hier Pigmente von soliderem Körper, feinere Brech-
ung der Farbe in Halbtinten, zartere Lasuren und eine Ab-
wägung von Licht und Schatten, die zunehmende Achtsamkeit auf
das Verschmelzen von Tinten mit Hilfe der durch Schattengebung
hervorzubringenden Contraste bekundet. Die den Vordergrund er-
füllende Atmosphäre breitet sich duftig bis zu einem entzückenden
Landschaftswinkel aus, der sich weithin in bewaldete Gegend er-
streckt. Die Aehnlichkeit der Mutter mit dem Sohne, das im
Vergleich zu Johannes zarte Alter des Christuskindes, die an-
muthige Jungfrau mit ihrem aus ganz besonders zartem Flor ge-
wobenen Schleier, die weissen Locken des heiligen Antonius, die
Wellen seines Bartes, meisterlich wie dies Alles ist versetzt
uns wie mit Einem Schlage aus der förmlichen Auffassungsweise
44 Florenz, Uffiz. N0. 633, Holz. Halbiiguren, etwas unter Lebcnsgrösse: Maria
im herkömmlichen rothen Kleid mit blauem Mantel, Johannes links mit Fell be-
kleidet, Antonius rechts in Braun. Das Bild hat einiger Maassen an Frische ver-
loren, da infolge des Zerspringens der Tafel mehrere Stellen naehgetupft werden
mussten, wodurch das Gesicht Marias betroffen wurde. In neuer Zeit stellte sich
ferner die Nothwendigkeit heraus, dem Abblättern der Jiarbe Einhalt zu thun. Am
besten ist der Kopf des Antonius erhalten. Auf der Jacke des kleinen Johannes
liest man: "TIGIANVS f." (Photogr. von Braun.)