XXXIV Chodowiecki,
Aber das heitere Leben, welches ihm die Ausübung der Kunst gewährte,
sollte nunmehr durch ernsterc Beschäftigungen unterbrochen werden; denn es
lag nicht in dem Willen der Mutter, ihn für die Kunst zu bilden, sondern er sollte
sich einem Geschäfte widmen, das sein Vater so lange mit Ehren betrieben hatte.
Er kam daher noch in demselben Jahre, wo sich seine Kcnntniss der Kunst cr-
wciterte, zu einer TVittwe 1') in die Lehre, um bei dieser die Spczcreihantllung
zu erlernen, und hier musste er täglich, von Morgens sechs bis Abends zehn Uhr,
die Kunden befriedigen, und dann nach bcendigtem Geschäft mit seiner Frau
Patronin ein paar Lieder singen und den Abendsegcn beten. So ermüdend aber
auch dies neue tägliche Geschäft war, so war es doch nicht vcrmögcntl, in ihm
den Trieb zur Kunst zu unterdrücken, denn sobald er die Erlaubniss erhielt,
sich auf sein Zimmer zu begeben, übte er sich so lange im Zeichnen , bis ihn
der Schlaf übermannte (oder das Licht ausbrannte) Selbst seine Kirchenhesuchc
waren mehr der Kunst als der Andacht gewidmet. Hier betrachtete er die Ge-
mälde, und da der Ort sich nicht eignete, sie nachzubilden, ohne Aufsehen zu er-
regen, so bediente er sich dazu entweder des Deckels seines Gesangbuchs, oder
er zeichnete mit dem rechten Zeigefinger in die hohle Hand. Auf diese Weise
suchte er sich die Umrisse der Figuren in den vorhandenen Gemälden in das
Gcdächtniss zu prägen, und brachte sie dann zu Hause auf das Papier.
Trotz dieser mangelhaften Uebung und bei so beschränkter Zeit hatte er
es doch zu ziemlicher Fertigkeit im Zeichnen gebracht. Da ihm indess die Ge-
legenheit fehlte, sich nach Mustcrbildern zu üben, und hierdurch seine lliängcl
zu verbessern; der Trieb aber, seine Gedanken zu versinnnlichen, immer mäch-
tiger erwachte: so fand er auf einmal in der Nahe, was er so fern glaubte; es
war die Natur in ihren äussern Erscheinungen; sie wählte er zum Muster, um
durch sie bildliche Darstellungen hervorzubringen. In dem Grade, als sich das
Kunstvermögen entwickelt, führt uns dasselbe zur Anschauung der Natur.
Diese berichtigt, was die Erinnerung gestaltet; denn die blosse Anwendung
der leztern wird selbst beim Meister Mängel erzeugen. Zum ersten Gegen-
stande seines Studiums ward der Laden ersehen, in welchem er täglich sein
gewohntes Geschäft verrichtete ; nicht nur diesen zeichnete er mit den Käufern,
sondern brachte auch seine. Prinzipalin als Hauptperson in demselben an. i")
Die Schwierigkeit der Ausführung, da er keine Kenntniss der Perspective be-
sass, und Mangel an gehöriger Zeit x1erhinderten ihn, diese Zeichnung völlig
zu vollenden, und als er später 1780 Danzig besuchte, und unter Familien-
papieren sowohl diese Zeichnung, als auch eine Tischgesellschaft, welche er
1749 nach dem Leben ausgeführt hatte, fand, bemerkte er: "ein ganz clcndes
Ding; man wird sehen, wieviel ich im Verlauf von sieben bis acht Jahren zu-
genommen hatte."
Schon hatte Chodotviecki in dieser Handlung ein und ein halbes Jahr ver-
lebt, als ungünstige Umstände eintraten, und sie geschlossen werden musste,
wodurch er gcnöthigt war, wieder zu seiner Mutter zu gehen. Hier setzte er
seine frühern Beschäftigungen im Zeichnen fort, und sandte die fertigen Ar-
beiten nach Berlin. Da er aber während der Zeit, als er in der Handlung war,
in der früheren Art zu malen , mehr zurück als vorwärts Kgeschritten war, so
wurden ihm diese von dort als unbrauchbar zurückgeschickt; zugleich aber er-
Ü Bröllmnnu , eine Vegrwandte ChodoxvicckPs.
Diese und die folgenden Anmerkungvn, grösstcntheils aus dem handschriftlichen Nach-
lnsse des Künstlers entnommen, sind vom Ilerausgeber.
"Ü Diess Blatt, eine Federzeichnung, Blei- und Rothstift, bcßntlet sich jetzt im Besitze der Ma-
lame Gretschel in Leipzig.