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ITALIENISCHE
TAGEBÜCHER.
Rom.
OLEVANO,
FLORENZ,
fähigung für alle Theile der Kunst, die er inidenkbarster
Harmonie als ein Ganzes aus- und durchgebildet hat, das
macht ihn zum grössten Künstler, der je lebte, und stellt
ihn selbst über Michelangelo, der ihn in gewissen Dingen
weit überragt. Der Name Rafael und was er geliefert,
wird noch leben, wenn von seinen Werken nichts mehr
übrig. So lange die Menschheit eine Sprache besitzt, wird
er über unsern ganzen Erdball herrlich und rein erklingen.
Möge daher jedem in den Künsten wahrhaft Strebenden
das hohe Glück werden, Rom mit seinen unendlichen
Schätzen eine längere Zeit zu sehen. Was ihm auch später
begegne, der Gedanke an Rom wird ihn trösten und
erheben a.
(9. Februar 1860.) nStanzen von Rafael. Nach vielen
schlechten und dunklen Tagen klärt sich die Luft, der Mor-
gen war hell und rein und so wanderten wir einmal wie-
der nach dem Vatican. Die Stanzen waren diesmal so klar
und deutlich zu sehen, wie ich mich vorher nicht erinnere.
Mehr als jemals beschäftigte mich zuerst die Anlage und
unvergleichliche Pracht des Ganzen, von der die heutige
Erscheinung nur eine Ruine ist. Wir gingen nach den
eigentlichen Stanzen. Stets fangt man mit der Disputa
an, weil man weiss, Rafael machte mit dieser den Anfang.
Diese Komposition beschäftigt Einen regelmiissig mehr,
als die andern, ohne dass sie gehaltreicher und ohne dass
man sich selbst fragt, worin die Ursache zu suchen sei.
Ich glaube, dass es die noch sichtbare, oft verzagte Liebens-
würdigkeit der Jugend ist, die überall noch fraglich, aber
um so inniger zu Werke geht. Noch ist ihm nichts Neben-
sache, nichts leicht genommen, in Allem nach moglichster
Durchbildting strebend, das Meiste vollkommen erreicht,