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ITALIENISCHE TAGEBÜCHER.
ßruaxz,
OLI
ZYANO,
Rom.
er es ltannte, in dem Bilde niederzulegen. Dass dies, bei der
eignen tiefen Empfindung und Reinheit der Seele, neben
der grössten Meisterschaft klar werden musste, wird man
wohl verstehen, und dies ist der eigentliche Zauber in die-
sem himmlischen Bilde, auf welches auch nicht das Ge-
ringste störend einwirkt, dagegen noch mtinches dazu bei-
trägt. Zuerst deutet die blasse aber reizende Farbe des
Fleisches, das tiefliegende, beschattete Auge, der ernste
Mund, auf ein ernstes inneres Leben, und damit in voll-
kommener Harmonie und Schönheit ist die einfache, aber
gewählte Kleidung. Die Farbe derselben ist so still gehalten,
dass der Blick des Beschauers immer auf dem Kopfe ruht und
nie satt wird, immer in die seelenvollen Züge zu schauen.
Nichts im Bilde erinnert an ein Machxverk, die Sache steht
ohne Schminke vor uns. Tiziatns weibliches Porträt tritt
uns zuerst und zuletzt mit seiner Aeusserlichkeit entgegen.
Das schöne Weib ist Fleisch und Blut, glänzend in der
Carnation, prachtvoll in der Kleidung und in der Farbe
derselben. Dagegen ist es uns gleichgültig, ob oder was
in ihrem Innern vorgeht, weil nichts eigentlich dahin deutet.
Die Zeichnung könnte ganz eine andre sein, wir würden
nichts vermissen, während Rafael nichts anders sein ltanntr.
nWir gingen (26. Nov.) zur Kirche della pace und
sahen die Sibyllen von Rafael, die rechts vom Portale,
etwas hoch, zu sehen sind. Das Bild ist, bis auf einige
kleine Stellen, wohl erhalten und ein prächtiges NVerk in
reinster Harmonie und Kraft der Farbe. Man sagt, Rafael
habe dem Michelangelo nachahmen wollen. Dies fallt mir
dabei nicht ein, doch ist die Composition wie die Form
von einer Grossartigkeit, die man in dem Grade nicht
überall bei ihm findet. Dies gilt ganz besonders von der