Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

58 BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE 
 
Dabei ist aber die grösstmögliche Ausnutzung und An- 
spannung der Farbenskala seine ganze Freude. Für ihn sprechen 
alle Farben und wiederum übersetzt sich alles, was er auch 
äusserlich oder innerlich (ohne das Auge, welches ja nur farbige 
Eindrücke empfängt) wahrnimmt, in Farbe. Ich bin überzeugt, 
dass für ihn z. B. ein Trompetenstoss zinnoberrot ist. 
Böcklin weiss sehr wohl, dass er hier und da verstärken 
(übertreiben), anderswo mässigen muss, um möglichst viel für 
die Glaubwürdigkeit des Ganzen in seine Übersetzung hinein 
zu retten. 
jedes Bild ist eine Übertragung aus der riesigen Licht- 
skala des Sichtbaren in die unzulängliche der Palette, nicht nur 
was Licht (Farbe) angeht, sondern auch aus dem Raum auf die 
Fläche, aus dem Vielen ins Einheitliche, aus dem Unendlichen 
ins Abgeschlossene, aus dem Grossen ins Kleine etc. 
Es wird von Ästhetikern wie Publikum, scheint mir, viel 
zu wenig Wert gelegt auf die innerhalb der Optik der 
Malerei gefundenen Ausdrucksmittel. Wer giebt sich, wenn 
er eine Wirkung empfindet, Rechenschaft über ihre äussere 
Veranlassung? 
Alle Wirkung beruht auf Gegensätzen von Farben, Be- 
wegungen, Mengen, Ruhe und Unruhe etc.  Kontraeifekten  
warum soll man seine Ausdrucksmittel, seine Macht über das 
Auge nicht kennen und benutzen? 
Böcklins Liebe, durch Gegensätze Leben zu schaffen, kann 
man bis in seine eigentümliche Technik hinein verfolgen. 
Es ist schon physiologisch klar, dass alles, was man em- 
pfindet, nicht allein, sondern nur im Gegensatz zu anderem 
zur Wirkung kommen kann. Alles, was auf der Welt unter- 
scheidbar, wirksam ist, beruht auf, besteht aus Kontrasten. 
Künstlerisch gilt genau das Gleiche. Alle Wirkung beruht auf 
Gegensätzen, die überall zu sein haben und (allein) Leben 
bringen, den Geniessenden fesseln, ob er das Mittel merkt 
oder nicht. 
Und wie das schon die Alten gewusst haben! Man sehe 
nur so einen antiken Kopf an. Immer und überall Gegensätze. 
Geht es hier beim Ohr hinaus, geht es daneben ganz betont 
hinein, da hinauf, daneben herunter. Im Profil niemals etwa 
eine hohe Stirn und eine lange Nase. Sondern Stirn niedrig,
	        
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