Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

54 BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE 
 
Wollten wir nach einem grossen und deutlichen Beispiel 
suchen, so liesse sich Böcklin am ehesten mit Rubens ver- 
gleichen. Dieser scheint wohl manchmal die Natur zu verge- 
waltigen (d. h. die Natur, welche die „anderen" sehen), aber 
in Wirklichkeit macht er sie nur seinen künstlerischen Neu- 
schöpfungszwecken dienstbar. Und diese künstlerische Wahr- 
heit ist nun einmal  alles in allem überlegt  wahrer als 
alles vermeintliche Ab- oder Nachschreiben. 
Die moderne Sucht nach scheinbarem Reichtum, das 
Hier-noch-was und Da-noch-was, kennt Böcklin nicht. Er 
will ja nicht das und das und noch was darstellen. Die Kunst 
des Nebeneinander und Auseinander ist nicht seine Kunst; die 
heisst: mit- und durcheinander. Er will nicht das Geschaute 
darstellen, sondern das Angeschaute, d. h. das beim Sehen 
Empfundene. Er will irgend einer seelischen Er-innerung zu 
möglichst knappem und deutlichem Ausdruck verhelfen. Bild- 
lich: nicht das Rad in der Uhr interessiert ihn, sondern seine 
Funktion und das Resultat, und darum und bis dahin macht 
er es. Sprechende Formen, Farben und Bewegungen, das 
ist die Hauptsache. Das Übrige, soweit es unerlässlich, ist in 
seiner Behandlung gleichgültig. Drücken drei Hände das aus, 
was empfunden war und mitgeteilt werden soll, so ist die vierte 
überflüssig, wenn sie nicht geradezu stört. Für die Farbe gilt 
das gleiche. Farbe als Selbstzweck (Kolorismus) ist ihm ein 
Unsinn. 
Das Objekt liegt auf der Strasse. Zum künstlerischen 
Leben gelangt es erst durch das Erkennen (die Anschauung) 
seitens des Subjekts. Seinen sehr verschiedenen Wert in male- 
rischem Sinne verdankt es eben der Verschiedenheit der sub- 
jektiven Anschauungen (Gehirne, Genies). 
Landläufiger Begriff des Realismus: das scheinbar auf- 
fassungslose "Abschreiben" der Erscheinungswelt (scheinbar, 
denn faktisch ist das ja auch eine Auffassung, wenn auch keine 
künstlerische) von irgend einer Ecke an bis zu einer beliebigen 
anderen. 
wir 
Auch wir sind Naturanbeter  aber anders. 
es sind, haben wir eine höhere Sorte Respekt 
Gerade weil 
vor ihr, als
	        
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