Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

KÜNSTLERISCHE CHARAKTERISTIK  41 
Nein  das trifft bei ihm nicht ganz zu: denn er em- 
pfindet oder sieht beides zugleich mit, wenn er seinen Eindruck 
im Kopfe zum Bilde fertig komponiert. Er dichtet sozusagen 
nur im Kreise seiner Ausdrucksmittel. Das Farbenproblem 
deckt sich bei ihm mit dem dichterischen. S0 wird letzteres 
ja auch erst ein malerisches. Wo die Form eine direkte Rolle 
spielen soll, bei ganzen Figuren etc. wird auch sie ihm zugleich 
mit klar sein. Er ist ja doch kein Illustrator oder Darsteller 
von anderer Leute Gedanken.) 
Freuen wir uns, wenn einem noch die Sonne ins Hirn 
scheint, dass er Licht und Farbe sieht und aufweisen will, wo 
für andere nur weissliches Grau ist! 
Es ist in der Kunst wie Kette und Einschlag  beides 
gehört zum Gewebe  die Natur und der Mensch, der sie zu 
neuem Besitz bildet. Aber begreiflicherweise kommt alles da- 
rauf an, ob diese Weberei bloss ein dressiertes Können ist, 
wie z. B. bei Lenbach, oder eine jedesmalige eigenartige An- 
schauung. 
Ich weiss den einzigen Vergleich mit unserem Freund 
Gottfried Keller, der auch sein künstlerisches Gut in festen 
Händen trägt und es blitzen lässt, wie er will, nicht mehr und 
nicht weniger. Beide haben durch hellen allgegenwärtigen Ver- 
stand ihr Talent zu etwas ungleich anderem gemacht als zu 
einem blossen selbstleuchtenden Ding. 
Es ist eine Freude, Böcklin jetzt (1887) im Atelier zu 
sehen. Nur noch „giudizio". Wie er so vor seinen grossen 
Bildern steht und abwägt. Die letzten Dezimalstellen ausgleichen 
 überlegen: welche Dummheiten muss ich stehen lassen, um 
Anderes, Wertvolleres zu erreichen  das ist so jetzt seine 
Hauptarbeit. Die sichtbare Arbeit ist immer im Augenblick 
gethan. 
Es giebt da kein „das bedeutet", sondern nur „das ist" 
und zwar „ist" ohne Hintergedanken und l-Iineingeheimnisstes: 
Anschauung für die Anschauung. 
Wie ein Ringer, voll allseitig gespannter Aufmerksamkeit, 
Kraft und Klugheit, packt er seine Aufgabe, sie überall fassend, 
wo sie fassbar wird während des Kampfes, jeden blitzschnell
	        
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