232 BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE
ist sehr richtig für die Lehrjungen, Handwerker etc., etwa wie
die Religion für die Masse. Es steht da wie der Verstandes-
mässige (wissenschaftliche) Begriff dem künstlerischen Anschauen
gegenüber. Wo bleiben da die so viel gepriesenen Chinesen,
die rein malerisch wirksamen Dekorationen? Dass er im Grunde
Recht hat weit sich die Sache für die Ästhetik ausschlachten
lässt,
weiss
jeder
Schuljunge.
Wenn
Alten
blaue
Fernen
malten
blau
das ja nicht, auch der Himmel sieht nicht so aus so macht
das nichts. Aber wehe einem Modernen! Jene wussten wohl,
dass die Palette nicht ausreicht, um den Glanz der Welt dar-
zustellen.
Realismus! In der Theaterkunst halte ich das z. B. nur
für eine Vortragsart. Denn das ganze Ding, Stück geheissen,
das Verhältnis zu den Coulissen, dem Publikum, dass ich, den
jeder kennt, für einen ganz anderen genommen werde, das alles
ist doch von Anfang bis zu Ende nie etwas Reales sondern Kon-
vention. S0 geht's in der Malerei auch. Bleibt die Frage als
einzig entscheidend wenn wir nicht von blossen Virtuosen
reden: was haben sie zu sagen, vorzutragen?
[Was heisst Realismus in der Malerei? Schon die Be-
grenzung ist Sache der Individualität, welche suchend vor die
reale Natur tritt, dann gar die Farbenskala; denn jene der Natur
ist nicht die des Malers.]
Wir haben ein Bedürfnis nach Kunst. Aber aristokratisch
verkleinert ist alles, Kunst für reiche Leute und folglich keine
Kunst. In unseren Zeiten des Sozialismus sollten wir uns
freuen, wenn das heitere Erziehungsmittel der Kunst allen zu
teil werden könnte, wenn das anspruchsvolle kleinliche Sopha-
bild, welches bestenfalls bestimmt ist, in den Museen Kunst-
oder Sittengeschichte zu lehren, der Fassadenmalerei den Platz
im öffentlichen Interesse abtreten müsste. Wir haben keinen
Stil und auch nicht die Vorbedingungen zu einem solchen. Das