6 BÖCKLIN-AUFZEICI-INUNGEN UND ENTWÜRFE
Leben erstarrt, auf schwammförmiger Klippe, vor dem gefrässigen
heranbrausenden Sturm, liegen zwei Wesen. Sie kümmert das
Wetter wenig. Gerade das ist ihr Element, ihr Behagen."
Auch dieser Gegensatz ist schön. „Der Mann, tierartig menschen-
ähnlich, schaut mit grossen sehnsüchtigen Augen mit was
für unvergesslichen Augen ins Weite. Sehnt er sich ein
Mensch zu sein, ein armseliger, furchtsamer, aber gottähnlicher
Mensch, so wie der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene
Mensch Gott gleich sein möchte. Sehnt er sich nach einer
Seele, oder nach der verlorenen Seligkeit, denn die Wasser-
männer, glaube ich, sind verdammt . Haben diese Augen
vor dem Sturz der Engel Gott geschaut seine Herrlichkeit
und seinen Zorn? Denn es sind mehr wie Menschenaugen."
Ich muss gestehen, bester Leser, ich weiss es nicht, warum
sich dieser tierische Leib so krampfhaft an den Felsen klammert,
während die menschliche Seele in ganz anderen als Sturmes-
nöten in den gegenwartvergessenen Augen zittert. Und neben
ihm lagert und streckt sich seine körperlich viel schönere
Hälfte ein menschlich schönes nacktes Weib leichtsinnig
und mit Behagen geniesst sie das menschentötende Wetter,
dem allein ihre Art zur" Oberfläche auftaucht. Sie wird
bei
ihn
auslachen, wenn sie den Träumer sieht, und ihn unbekümmert
und lustig in die heimische Einöde hinabziehen . . . Was weiss
ich! Böcklin hat das Grauen des Meeres gesehen in Momenten,
wo nur die geheimnisvollen Wesen der Tiefe aufzutauchen
wagen, und er lässt uns hineinschauen in die märchenhafte
Realität noch unentdeckter Existenzen. Es ist diesmal kein
blosser Zufall, wenn dieses „Seekalb" dem verehrlichen Publico
noch nicht vorgekommen ist. Da draussen, wo das Sonntags-
kind Böcklin es hat sehnsüchtig emportauchen sehen, sind
keine reservierten Plätze, weder für Naturforscher, noch für
neugierige Alltagsmenschen. Auch der dreisteste Special-
korrespondent wäre längst verweht und gefressen, ehe er
dahin käme, wo die Natur dermassen bei sich zu Hause ist.