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BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN
UND
ENTWÜRFE
prüdeste Engländerin
seines künstlerischen
davor stellen.
Verstandes."
Sie
sind
reine
Produkte
Böcklin hat sich doch wohl viel zu wenig mit Maräes be-
schäftigt. „Aktzeichnen," meinte er z. B. in Rücksicht, dass
Marees scheinbar nie etwas anderes that, nie weiter kam,
„Aktzeichnen kann doch jeder Pariser hundertmal besserßf")
Offenbar achtete Böcklin gar nicht darauf, was Marees mit
seinem Aktzeichnen suchte; gewiss nicht den Akt. Nicht den
menschlichen Körper oder das Individuum, sondern die Wesen-
heit, den Menschen, eine Art Abstraktum, und für sich suchte
er die Freiheit, das volle Verständnis, die Souveränetät. (Über
die I-Iesperidenff) von Marees war Böcklin übrigens seiner
Zeit so entzückt, dass er ihm einen langen begeisterten Brief
schrieb den Marees allerdings mit seiner ganzen übrigen
Korrespondenz verbrannt hat, den Bruckmann, Böcklins
Schwiegersohn, aber noch, wie er mir erzählt, gelesen hat.)
Das Individuum kann sagen: heute will ich lustig, traurig
sein, so sein oder so sein. Das also ging Marees nichts an.
Er wollte nur das Wesen, den Begriff Mensch, oder besser
den Inbegriff alles Menschlichen, in dem alles liegt, aus dem
alles möglich und erklärbar ist, wie er sich die Absicht des
antiken Künstlers vorstellte. „Ich kann ja aus mir von der
Sonne dasselbe herausbrüten lassen wie die Griechen", meinte
er, „die Welt hängt immer in denselben Angeln, die gleiche
Sonne scheint, alle Bedingungen sind da." Vielleicht vergass
er gerade die eine: die Böcklinsche Heiterkeit und Sorg-
losigkeit des Schaffens.
Doch ging er mit einer fabelhaften Zuversicht immer von
neuem wieder vor.
Er mit seinen blossen nackten Existenziiguren konnte
natürlich in unseren Tagen nur noch in Rom leben.
Langweiligen Kerlen gegenüber, die er doch nicht los werden
konnte, log er: er rettete sich so durch Produktion vor dem
faden Gespräch. Alles setzte sich bei ihm in Produktion um.
Siehe: „Urteile über Andere", pag. 181. A. d. H.
Im Besitz v. Conrad Fiedler, jetzt in Schleissheim.