Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

GEDANKEN ÜBER BILDHAUEREI ETC. (EINZELNES) 157 
Erfinden wollen, ist die Ursache der Kunst, nicht Fixieren 
des Vorhandenen. Und wenn das auch für Hildebrand nicht 
ganz zuträfe, so steckt er doch sicher in der Sackgasse: 
Er will nicht etwas ausdrücken, sondern er will eine Figur 
machen, die Figur, das "ceuvre", über welches die Welt staunen 
soll und muss. 
Die Alten sind alle nur Vorahmer von ihm. 
Er bedeutet schon den Eispunkt. Da hat und verbreitet 
Begas denn doch ein bisschen andere Wärme! 
Gelegentlich seines für den Münchener Maximiliansplatz 
bestimmten Brunnens: 
Die Rechnung in jedem Sinn famos, sobald er aber 
schenken soll, ist er geizig. 
Sonst stell' ich mir doch den Künstler vor als einen be- 
haglichen, anschaulichen Menschen, voller Wärme und Freude, 
der immer etwas giebt, mal viel, mal weniger, mal hat er nur 
was für die Kinder zu geben, mal fällt es ihm aus allen Taschen, 
aber immer etwas. 
Der andere ist ein gelehrter, geschickter, leerer, kalt- 
schnäuziger Kerl, mit der klassischen Handpose auf der Brust, 
im Bratenrock  der imponiert. 
Innerlich ohne Empfindung, ohne Freude, innerlich tot, 
senza cuore, sangue, calore. Äusserlich klug und praktisch. 
Muss der ein hartes Gemüt haben, sagt man, wenn man 
diese geizige Brunnenrechnung sieht. 
Ich ziehe mir das nötige Geschirr an, lege Scheuklappen 
an und sage: So, nun kann das grosse Kunstwerk losgehen. 
Herr Urs Eggenswyler, Bildhauer von Zürich, der 
lebensgrosse Bestien, wahrscheinlich für die Naturgeschichte 
herstellt, sagt, Thorwaldsens Löwe in Luzern könne nicht 
stehen. 
Warum soll er stehen können?  
Er kann es nicht, weil die Nische zu niedrig ist. Er kann 
es nicht, weil er ergo ein liegender Löwe sein musste, ferner 
weil er ein sterbender Löwe ist, der sich nimmer aufrichtet. 
Wenn er nur liegt. Das ist die Hauptsache, und da lag die 
Aufgabe. Wenn die erfüllt ist, hat der Künstler sich aus-
	        
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