Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

GEDANKEN 
ÜBER BILDHAUEREI am. (EINZELNES) 153 
Dieser Adler des Gian Bologna, oder wer ihn sonst ge- 
gossen haben mag! Ein so kluger, überlegener Künstler, der 
das gemacht hat! Allen Wert hat er auf die Bewegung gelegt. 
Mit wenigen leichten Federmotiven kommt er aus, infolgedessen 
wird einerseits jene interessanter, da nichts von ihr abzieht, 
andrerseits gewinnt er an Volumen. Dieser Adler ist nicht 
unser edles, spektakelmachendes Radautier, sondern die Bestie; 
nur blank und glatt im Gefieder, den Kopf lauernd zur Seite 
geneigt, ganz Anschlag, Aufmerksamkeit: man sieht, mit einem 
Male ist er da und schlägt mit Schnabel, Krallen und Flügeln zu. . . 
Alles hat seine dekorativen Hintergedanken  darum 
versteht man so manches Ding in den Museen nicht oder ganz 
falsch. Sobald aber so eine Fragwürdigkeit wieder an der 
richtigen Stelle steht, spricht sie wieder den Ton aus, der da- 
mit gemeint war. 
93 a i! 
Mass nehmen beim Bildhauen. Dann bin ich ein 
Schuster, der Mass nehmen muss, aber kein Künstler. Wenn 
eine Nase z. B. das ganze Gesicht überstrahlt, oder die Augen 
thun es, so mache ich sie grösser, resp. wie sie mir vorkom- 
men, bis ich diesen Eindruck erreicht habe. Sonst wird ja z. B. 
eine Büste auch mein Lebtag nicht ähnlich, da sie doch eine Über- 
setzung ist in ein anderes Material mit anderen Eigenschaften. 
Ich mache ja die Erscheinung, nicht die Thatsache; wie es 
mir vorkommt, nicht wie es ist. Der Bildhauerzirkel macht 
die Wahrheit auf seine Art, und mir nimmt er die Freiheit. 
Farbige Vorstellungen! Moderne Bildhauer haben ja nur 
noch Vorstellungen in Gips. Was ahnen sie vom Marmor, 
mit dem sie selbst nichts machen können. 
Abbozzatore! Kaltblütig macht er seine Sache herunter  
pfeift dazu  alle Vorstellung von Fleisch geht bei dem 
Strickstrumpf natürlich verloren  das ist eben nicht Erfin- 
dung, sondern Nachahmung.
	        
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