136 BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE
die, nach einigen Versuchen und Änderungen, denn auch an
verblüffender Wirkungskraft nichts zu wünschen übrig liess.
Freilich, ein „Genremaler" oder ein "Tyroler" muss nicht über
den Marmor kommen, und nicht jeder lebensgrosse Knote von
Bildhauer, der lebensgrosse Röcke, Hosenstoffe, Uhrketten etc.
aus Gyps machen kann, liefert Arbeit für den Maler, oder soll
sie gar selbst anstreichen, karrieren etcfi)
Die Menge der Handwerker unter den Bildhauern, die
es so herrlich weit gebracht, diese Generation muss erst aus-
sterben. Nur in China kann man verlangen, dass jemand sich
selbst den Bauch aufschlitzt. In dreissig Jahren aber wird
über ihren Leichen bei uns alles farbig erblüht sein, wir werden
diese eitel aufgebauten Strümpfe und Würste, dieses impotente
Wollen, los sein. (Wünschen wir unseren Kindern oder
Enkeln; denn jene werden noch durch weissnäsige Schul-
meister verdorben wieder eine farbigere, anschauungswürdige,
[und-fähige] weniger von der Blässe des Gedankens ange-
kränkelte Welt!)
Alles, was unsere, nach immer mehr Realismus strebenden
Bildhauer stachelt, ist ja nichts als die düstere Empfindung von
der Unzulänglichkeit der weissen akademischen Kunst. Wer
überhaupt heisst denn der Skulptur, dem schwarzen Rock oder
der Uniform, Garnitur Nummer so und soviel, Denkmäler setzen!
Eine farbig gebliebene Skulptur wäre dahin überhaupt nicht
gekommen. Die farbige Vorstellung und Notwendigkeit hätte
sie zurückgehalten, sich unter dem Vorwande Helden zu bilden,
alte Mäntel zu giessen.
Am blamiertesten werden dann, wenn die Polychromie
erst wieder begriffen ist, die lieben Italiener sein; denn
ihre Haupteitelkeit die Neuerfindung der Bildhauerei, ist
dann endlich, gering gesagt, gegenstandslos, ihr technisches
Rafl-inement gleichgültig selbst für Laien. (Ähnlich wie viele
Maler, die nicht rechtzeitig genug das Plattenputzen lernen
können, um nach Erfindung der Farbenphotographie Photo-
graphen werden zu können.)
Die Farbe verdeckt keine Leibschäden der Skulptur, sondern
s) Siehe
Bahnhofplatz.
Kissling und
A. d. Verf.
seinen
Alfred
Escher
auf dem
Züricher