FARBIGE SKULPTUR 131
.auch der Zufall, dass er anfangs der sechziger Jahre, glaube
ich den Augustus des Braccio nu0v0"') in der Villa der
Livia in seiner ganzen, jetzt verblichenen Farbenpracht aus-
graben sah. Diese Vorstellung trug er seither mit sich herum,
auch nach Pompeji, wo er so manches Stück in seinem wirk-
lichen Farbenglanz der Erde entnehmen sah, das ihn über die
Farbenfreude, das Farbenbedürfnis der Alten künstlerisch völlig
aufklärte.
Die Stellen über farbige Behandlung bei antiken Schrift-
stellern hatte er bald selbst gefunden. Er höhnte schliesslich,
"wenn man diesen klugen Griechen, diesen ganzen Kerlen, die
Halbheit der Farblosigkeit in ihrer Skulptur zutraute und, selbst
verbildet, sie mit den dummen Theoretikern und Affaristen der
Renaissance (vor deren Doktrinarismus und der durch ihn
irregeleiteten Kraft er nie einen besonderen Respekt gehabt hat)
in Italien verwechselte, die aus sich selber nichts hatten, in der
Natur nichts sahen, und erst als der Zufall ihnen die Antike
in die Hände spielte resp. ihr Wert klar wurde, etwas merkten,
zu messen und nachzuahmen, aber auch sofort misszuverstehen
anfingen, indem sie die farblose Skulptur erfanden, nebst den
ästhetischen Anpreisungen dazu. Diese Nachkommen der Etrusker
und Römer, in ihrem verwüsteten Lande ohne Tradition, wollten
die Griechen verstanden haben, die in Sonne und Farbe
schwammen, an dem Meer, in der Formation und Vegetation
diese Teppichweber mit der ganzen Tradition der uralten
afrikanisch-asiatischen Welt! (Die Frage ist klar: dass wir mit
der „farbigen Skulptur" die Renaissance aufgeben müssen. Das
hat man sich durchaus vor Augen zu halten. Theoretisch wie
praktisch ist es mit ihrem Lehramt aus.) 1
Dazu kamen technische Erwägungen. Wer konnte denn
so einen Relieffries in der Höhe überhaupt sehen? Welcher
Narr verschwendete seine Arbeit dort. Ein Grieche? Wer
lacht da? (All die Freude, die er am Leben, an der Er-
scheinung gehabt hat, will doch gewiss der genussfrohe Grieche
aussprechen, darstellen. Und dazu gehört doch in erster Linie
die Farbe.
Die Augustusstatue im Braccio nuovo des Vatikanischen
Museums wurde 1863 in der Villa der Livia bei Prima Porta an der
alten Via Flaminia gefunden. A. d. H.
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