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BÖCKLIN-AUFZEICHNUNGEN
UND
ENTWÜRFE
Es giebt gebildete und
solche Augen.
Schliesslich ist ja jedes
hirnfunktion.
und
ungebildete
Menschen
und
eben-
Sehen
eine
Auffassung,
eine
Verschiedenen
Leuten
wie
verschiedenen
Zeiten
kommt
es auf sehr Verschiedenes an. jeder sieht was er brauchen
kann, auf seine Art.
Ein Chinese, ein Hottentotte, ein Quattrocentist „sieht
sich die Sache an". Sollte er sie nicht anders sehen als wir?
W38
brauchen
Und wenn?
ill FKK
I?
Es kommt schon darauf an,_wieviel Blut im Gehirn ist.
jedes Kind weiss, dass die Farben sich verstärken, wenn man
den Kopf zwischen die Beine nimmt.
je leerer das Hirn, um so „optischer", unbeeinflusster ist
das Sehen. Es lebe der Packträger!
„Mais", sagt Viollet-le-Duc, „ce n'est pas sur la grossier-
ete' des sens du plus grand nombre que nous pouvons etablir les
regles de Part."
Der Frosch fragt den Adler, der da ganz oben kreist:
„du, was siehst du?" Und der erzählt ihm von Wäldern und
Gebirgen und Flüssen und Städten. „Du Schwindler", denkt
der Frosch, der im Graben sitzt und sich auch noch in seinem
Loch ganz genau vorsieht, dass ihm kein Schaden von irgend-
woher geschieht.
Wenn man nur immer das Bewusstsein des absolut ver-
schiedenen Gesichtswinkels sich erhalten wollte, unter welchem
zwei Menschen, die auf verschiedenen Wegen daher kommen,
die Welt anschauen, noch dazu ein Maler und ein Gelehrter!
Man sollte nicht bloss sagen: das sieht mein Hausknecht
auch, sondern auch: das sähe mein Schuster, Schneider, Friseur,
ein Weinreisender, mein Pudel etc. aber ein Maler nicht.
Sehen! ja Sehen und Sehen. Was alles haben Böcklins
Augen wie seine Bilder beweisen gesehen!
Anstatt sich zu freuen, dass wieder einmal jemand indi-
viduell ganz mit eigenen Augen aus eigenem Schädel zu sehen
wagt, schrieen die Philister wie immer: er sieht anders als die
Herde, als wir kreuzige ihn! Freilich ist das ein besseres
Zeichen für ihn, als wenn sie Hosiannah! geschrieen hätten.