104 BÖCKLlN-AUFZEICHNUNGEN UND ENTWÜRFE
wollen, indem sie ihnen allerlei malerischen Faltenwurf um
den blassen dürren Leib hängen und sich gewöhnlich vorge-
nommen haben, bedeutend zu sein. In Bildern von Böcklin
ist, wie in jedem echten malerischen Kunstwerk, Zeichnung
implicite, jedes Licht sitzt an seiner rechten Stelle, das
Terrain ist verständlich ohne affichierte Linienführung, wie von
selbst. Jenes ist Abstraktion, dieses unmittelbar. Zeichnen
muss der Maler können, nicht wollen resp. wie ein Akademie-
schüler zeigen wollen, dass er's kann. Böcklin zeichnet also
wie ein Maler und nicht wie ein Zeichenlehrer oder einer aus
dem Publikum, der bei so einem „zeichnen" gelernt hat.
Wo unsere „Koloristen" scheinbar (d. h. für das Laienauge)
keine Form sehen, sehen sie das, was jene unter Umständen
zum Teil aufhebt: Licht, Luft und die mit ihnen zusammen-
hängende Farbe, durch welche erst die Erscheinung sichtbar wird.
Zeichnen mit dem Stift (akademisches Zeichnen) und
Zeichnen mit der Farbe, Sehen in Licht und Luft und ab-
strahierte Form, sind also zwei sehr verschiedene Dinge, die
ganz verschiedene Voraussetzungen, Bedingungen haben.
Ich kann ja einen Schäfer unter einem blühenden Hollunder-
strauch zeichnen, und das kann, wenn z. B. Ludwig Richter
das macht, ganz poetisch wirken. Wenn derselbe aber malt,
kann z. B. das Weiss dort gar nicht möglich sein, und darauf
kommt es dann an, ob das Weiss dahin passt. Ich erinnere
mich an ein Liebespaar in der Rosenlaube versteckt von dem
Zeichner Richter gemalt: ja, man sah viele Rosen, aber die
Hauptsache, das Liebespaar, geriet so ins Dunkel, dass man das,
was das Bild wollte, gar nicht sah.
Den einen reizt die Kohle, den andern die Farbe. Aber
der Kartonzeichner soll nicht verlangen, dass man einen Karton
koloriere, wenn man malerische Wirkungen erstrebt, er
wird ja aus einer Farbenskizze auch nicht klug und kann nichts
mit ihr anfangen.
Zeichnen sollte doch nichts weiter bedeuten als Projizieren
der Form resp. des Raumes auf die Fläche, mit dem freilich
durch die Kunstgewöhnung vielfach erleichterten Schein des
Runden, Räumlichen. Nur in diesem Sinne kann man die
Farbe bekennende Malerei eine zeichnende Kunst nennen
indem sie Form undRaum durch Farbe, Ton und Gegensätze