„KEINE NATUR 93
eindruck hinterlassen. Aber den bewahrt er in der Seele des
Poeten bis zum rechten Augenblick.
Er idealisiert nirgends in dem Sinne, dass er sich über
die Natur erheben wollte, sie zu verbessern trachte im
Gegenteil, selten wohl sind die „Grenzen der Kunst" so inne-
gehalten, aber auch mit so raffiniertem Bewusstsein ausgefüllt
worden, wie von ihm. (Und damit bitte ich um die Erlaubnis
zu wissen, was ich thue, wenn ich die Klugheit auf den Thron
hebe. Ich bin gewiss der letzte, welcher den künstlerischen
Instinkt, dem jene dient und hilft, unterschätzt. Nur nebenbei
ist es nicht wahr, dass die Kunst im Düstern geboren wird
und von Bauernjungen oder Salontirolern getrieben werden
kann. Die eine Hälfte freilich ist Begabung, Individualität, die
andere, sehr notwendige, Erkenntnis, Abschätzung, Direktion . .
Er verkehrt mit ihr so intim, dass er sie wohl in manchem
glücklicheren Moment belauscht hat, als andere, und durch-
schnittlich wird ihm die Idee zum Pinsel zu greifen erst
kommen, wenn er den wesentlichen Ausdruck eines Moments
oder Gegenstandes erkannt zu haben glaubt und genossen hat.
Diese echte Naturwahrheit hält und belebt auch seine phan-
tastischsten Sachen.
Er reinigt die „Natur" (d. h. die zufällige) im Aristoteli-
schen Sinne, er „legt sie aus" im Sinne Goethes.
(Es heisst, er verstehe die sichtbare Natur falsch. Man
versteht die Natur überhaupt nicht. Sie entsteht erst in uns,
indem wir sie ansehen. Wir malen uns und können uns natür-
lich das grösste Armutszeugnis von der Welt geben.)
Alle unsere „Italienkenner" kennen das „Land" durch
einen Winter in Rom, durch meinetwegen alljähnliche, sechs-
wöchentliche Rundreisebillets, durch zweckbewusste, auf Archive,
Galerien oder Gesellschaft abzielende Reisen in die grösseren
Städte, aber wer hat jahrelang mit offenen Maleraugen in
Sonne und Kälte gesessen, Schiffe gechartert und sich vom
Winde führen lassen, die Natur belauscht, wo sie eigentlich
ein Recht hatte, vor Fremden sicher zu sein? Wer kennt die
unwirtlichen Inseln, wenn sie in der schweren Sommermittags-
hitze, wo selbst der grosse Pan schläft, brennen, oder wenn
der Sturm sie vor der lebenden Welt verschliesst?
Keiner von denen, die ihre zu kurzen kritischen Zollstäbe