Volltext: Zehn Jahre mit Böcklin

MODELL? VOR DER NATUR? 85 
Werden. Im Atelier hat man nachher doch was ganz anderes, 
kann die Studie nicht brauchen. Auch vom mnemotechnischen 
Standpunkt ist Studienmalen ein Unsinn. S0 einer, der immer 
nur den augenblicklichen Schein abmalt, lernt nichts, ist das 
nächstemal wieder hilflos. Nehmen wir einen ganz einfachen 
Fall. Sie zeichnen ein Vergissmeinnicht ab. Aber dadurch 
lernen Sie es nicht verstehen, können es sich nicht vorstellen, 
wann und wie Sie wollen. Sie wissen nicht, wie sich das aus- 
einander entwickelt, wie dieser Teil an jenen ansetzt, wie das 
Gelb zum Blau umrissen ist etc. Sie können eben nur wieder 
das abmalen, was Sie sehen. Sehen Sie's aber an und versuchen 
nun, sich das Ding aus dem Gedächtnis zu zeichnen, sich davon 
Rechenschaft zu geben, vergleichen Sie das Gemachte dann mit 
der Natur oder gehen, wenn Sie nicht weiter können wieder 
auf sie zurück, so korrigieren und befestigen Sie Ihre 
Begriffe. jUnd Vorstellung ist nötig, Nachahmung tötlich." 
Bei ihm ist denn auch alles aus Vorstellung entstanden 
und diese auf Angeschautes (d. h. Erlebtes, Genossenes, Empfun- 
denes) zurückzuführen. 
Er sieht auf diese Weise nicht bloss den schönen Schein 
der Dinge, sondern die Sachen selbst lernt er kennen, er sieht 
sie im Zusammenhang, auch was dahinter ist, drum herum. (Er 
sieht sie nicht geistreicher, vielmehr auf ihr Wesentliches 
reduziert.) Schon darum haben seine Bilder alle Raum, nicht 
nur weil er ihn mit Perspektive und Farbe zu schaffen versteht. 
Die Modellmaler beherrscht die Erscheinungswelt (auch 
die Stimmungsmaler, die erst durch die Natur in eine gewisse 
Empfindung gebracht sein wollen). Böcklin aber beherrscht 
sie mit seiner durch und durch bewussten Kunst. 
Die Natur  im {Böcklinschen Sinne innerlich geschaut 
 bindet nicht, sondern macht frei. 
Man lache nicht, indem man etwa an Hans von Bülow 
denkt, der auch „zur Erhöhung des Effekts" aus dem Gedächt- 
nis spielt. Dies aus dem Gedächtnis-Produzieren und -Reprodu- 
zieren macht den Künstler frei, lässt nur das wirklich Unter- 
scheidende oder doch das wirklich Genossene zu. 
Wenn du etwas hast und weisst, was dein ist, von dir, 
 dann geh' her und mach' es. Wenn du dir aber, weil du 
nichts hast, etwas herholst, ein Modell, um irgend etwas zu
	        
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