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noch höher und bedeutet den letzten Endpunkt einer
unendlich bewegten Bahn: der Farbenvirtuose von
Weimar in den 60er Jahren, der in der Tafel mit einem
reichen Strauss seltener und origineller Farben anakreon-
tische Anmut und Zierlichkeit lange vor Augen hat,
dieser graziöse Farbenmusiker ist Schritt für Schritt zu
einem idealen Realisten gewandelt, der seine besten
Eingebungen der auf Schritt und Tritt selbstvergessen
belauschten Natur verdankt. Es ist freilich ein könig-
licher Realismus und ein majestätischer Natursinn bei
ihm, der in keiner dunklen Stunde jemals am Dreck
kleben blieb, weil er kein Organ dafür besitzt. Das
frische Meer dünstet um diesen kleinen Kreis blutsver-
wandter Kreaturen, aber kein ekler Thrangeruch
mischt sich vom Atem dieser Fisch- und Robbenesscr
hinein. Mitten in grossgewölbten Wellen mit Schaum-
fiiden und unter durchsichtigem blauem Himmel mit
langgezogenen Wolkenballen schwimmt ein Riff, auf dem
langhingestreckt die üppige nackte Mutter mit dem Baby
liegt, während das ältere Kind hinter ihr sich in wilder
Neugier aufrichtet. Eben ist der Vater daneben aufge-
taucht und bringt am Hals gepackt einen feisten Seehund
als Spielzeug, als Mahlzeit mit. Das Fell dieses Viehs,
die Epidermis der Frau und des Mannes sind einzig
gemalt, eine Naturkraft aber liegt im Auge dieses
Meerwildlings, während er die Seinen und sein NVeib
anschaut, jene schaffende Kraft, die diesen Kreis nach
dem Naturwillen zusammenhält. Ein unmittelbareres
Stück Natur hat Böcklin in seinem ganzen Werk nicht
geschaffen.