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Ich bedauerte, dass die Lehre oder Kenntnis von
den Farbstoffen nicht eigentlich wissenschaftlich ver-
folgt werden könne, sondern dass dabei nur von einem
Ordnen der Erfahrungen, die am Ende die Maler selbst
machen müfsten, die Rede sein könne. Bis jetzt hätte sie
sich stets als eine Wissenschaft gezeigt, die nur verneint.
Böcklin meinte, die Malerei selbst sei auch noch
viel zu neu, wenn man bedenkt, dafs sie vor 500 Jahren
von Giotto eigentlich erst ihren Anfang nahm. Und
Giotto selbst, wie roh noch und unvollkommen, und wie
schlecht erhalten seine YVerke! Und auch noch zu Rafaels
Zeit war die Technik sehr unvollkommen. Die Fresken
der Stanzen sind uneben und bauchig, bestehen aus
grofsen Stücken von 4' im Quadrat, die schlecht rangesetzt
und durch die hohlen beuligen Formen vielfach verstaubt
sind. (Dabei nur 112 Zoll dick.) Ein so grofses und dabei
so dünnes Stück konnte man unmöglich als Fresko gut
vollenden, und ohne Zweifel ist fast alles überretouchiert.
Daher auch die glatte ängstliche Ausführung, nirgends die
Frische des wahren Freskostriches. An der Disputa
soll 1112 Jahr gearbeitet worden sein.
Ich äufserte, Entwürfe in Konturzeiclmung mit Kohle
(wie sein Karton zum ersten Museumsfresko) schienen mir
am nützlichsten, um das Gefühl für plastische Erscheinung
auszubilden. Böcklin meinte: man solle sich nur immer
vorstellen, man wäre nur auf die geringe Skala der Freskoi
malerei angewiesen und habe damit alles zu erreichen.
Man ist dann von vornherein gezwungen, zu streben, alles
mit Licht und Schatten zu erreichen, und dann käme
SCHICK, BÖCKLlN-TAGEBUCH