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in das obere Stockwerk zu Rafael, Tizian etc. tritt, die
einem gegen die antike Schönheit wie Zopfbilder vor-
kommen." Die geschwungene, fast gezierte Bewegung
einer rafaelischen Madonna, die ihr Kind wie einen Fisch
in den Armen hält und es mit der konventionellen Hand-
stellung umschliesst, die bunten und doch dabei nachge-
dunkelten Farben, das alles macht einem jene Bilder zu-
wider. Wir sind nur von Jugend auf so an die ver-
meintliche Schönheit dieser Bilder gewöhnt und treten
dann vor eine Venus Milo und sagen: „die ist auch schön",
ohne den ungeheueren Abstand zu fühlen.
Böcklin meint, wenn die Farnesina verschüttet und
aus dem Gedächtnis der Menschen ausgewischt wäre und
nach tausend Jahren als einziger Rest ihrer Zeit ausge-
graben würde, man würde glauben, der Schöpfer dieser
Bilder sei nicht recht bei Sinnen gewesen, dal's er solche
Psyche, solche Venus schön glaubte.
August
Wenn man eine Komposition beginnt, von zwei
Figuren etwa, so denkt man sie sich doch in einem be
stimmten Verhältnis, und das bedingt dann weiter alle
anderenVerhältnisse im Bilde. Unrechtwäre es aber,
mit Abstecken der Verhältnisse (wie Ludwig) ein Bild zu
beginnen. Man mufs ein Bild frei entstehen lassen und
kann es nur, wenn es fertig ist, nachmessen.
Böcklin erzählte jedoch: wie er einmal eine Figur,
die ein Bild ausmachte, nie recht in die Mitte bringen