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Menschen zu sehen, läge der Ausdruck und Inhalt der
Darstellung näher als blofse Formenschönheit.
Böcklin entgegnete: Wie könne man nur glauben, dafs
den Griechen Gemüt und Gefühl in ihrer bildenden Kunst
abgehen, da sie doch so viel in ihren Tragödien und in
ihrer Lyrik zeigen.
Was ist überhaupt Gefühl, Rührung, Heiterkeit in der
Kunst, in der Musik? Sind es nicht vielmehr unbeschreib-
liche Eindrücke, die wir im Auge, im Ohre emphnden und
denen wir nur Verwandtschaft mit unsern Seelenzuständen
zuschreiben (wie warm und kalt Analogieen für ein Em-
pfinden in anderer Richtung)?
In einzelnen Hauptwerken des Ci n q u e c e n to ist diese
Aufgabe der Malerei, auf das Auge zu wirken, ohne dafs
man den Eindruck mit Worten erklären oder schildern
kann, vollkommen gelöst. Man könnte höchstens davon
sagen: es ist eine Frau, die steht so da und neigt
den Kopf dahinf und damit wäre die Beschreibung fertig.
S0 z. B. wird Rafa els Violinspieler dem Beschauer immer
ein Rätsel bleiben. Rafael jedoch ist sich der Ursachen,
warum er so wirkt, gewifs fast durchweg bewufst gewesen.
Das ist jedoch nicht wahr, was viele behaupten, dal's er
habe hineinlegen wollen, der Jüngling würde frühzeitig
sterben.
Einige von diesen Bildern sind die einzigen fast,
Worin die Aufgabe der Malerei vbllständig gelöst ist.
Die grofse Masse der Schöpfungen des Cinquecento
sind aber arger Wust. Das fällt einem recht auf, wenn man
von den pompejanischeil Wandgemäld en in Neapel