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Plastik
und
Mimik
eigenen Körpergefühls wie der Beschaffenheit und
Stellung seiner Hände zueinander hervorbringen. 1)
Damit steht der Beitrag des Getasts für das plastische
Gebild ausser allem Zweifel. Und was Hildebrand
als einen Mangel oder eine Schattenseite des
Modellierens in Thon ansieht, erscheint uns grade
als ursprünglichstes Charakteristikum der Plastik als
Kunst. Nicht allein der modellierende Bildner, son-
dern das echte bildnerische Schaffen überhaupt
„geht nicht von einer allgemeinen Raumvorstellung
aus, sondern von der gegenständlichen", d. h.
von der Mittelaxe des dreidimensionalen Komplexes,
und diese ist das Höhenlot, als gewohnte Dominante
unsres eigenen Leibes, nach der wir alle Kreatur
beurteilen, der unveräusserliche Grundstock des
Einzelwesens. Und von der Vertikalaxe aus ent-
wickelt sich die Gestalt allmählich weiter nach
aussen, nach allen Seiten ihrem Schöpfer entgegen,
wie der Baum sein Gezweig ringsum ausstreckt und
sozusagen in das umgebende Raumvolumnen ein-
greift, um es zu erfüllen als seinen Raum.
Der specifisch plastische Standpunkt ist also
nicht der entfernte, sondern der nahe; er ist nicht
der optische in erster Linie, sondern der taktile, und
setzt die Beweglichkeit voraus, die unsere mensch-
lichen Tastorgane, an erster Stelle natürlich die
Hände, an unsern beiden, im Elbogengelenk aber-
I) Es wäre ausserordentlich lehrreich festzustellen, wie weit die
Modellierung unter den Händen Blindgeborener, wie weit noch bei
Erblindeten zu gelangen vermag.