Schönheit
Plastische
Auf diesem Grunde der Ausdrucksfähigkeit aller
Formen für die successive Auffassung in Tätigkeit
oder die Vorstellung eines solchen zeitlichen Ver-
laufes, die auch von der Form in Ruhe ausgelöst
wird, erwächst, erst recht viel später jedenfalls, der
Sinn für das, was wir die „plastische Schön-
heit" des Menschenleibes nennen, 1) bei der die
simultane Anschauung der räumlich körperlichen
Form des Ganzen eine Hauptrolle zu spielen ver-
möchte. Scheint es doch, als wäre diese simultane
Auffassung, die aufs Ganze geht, zu Anfang nicht
im Stande mehr "festzuhalten, als die Vertikalaxe,
das nackte Symbol, das etwas von Unsersgleichen
bedeuten soll. Die aufgerichtete Stange mit oder
ohne Wahrzeichen darauf, höchstens mit dem sum-
marischen Abbild des Kopfes, oft nur ein schlanker
Steinblock, befriedigt den Antrieb, das Wertvolle zu
ergreifen und fest zu bannen, das im Dasein des
Körpers gegeben ist, aber im Leben gefährdet und
vergänglich bleibt.
Diese Aufrichtung des Höhenlotes, wenn auch
noch so abstrakt und schematisch, ist doch schon
die Sicherstellung der Grundtatsache, um die es
I) Vgl. hierüber auch den Aufsatz von Th. Lipps, in Nord
und Süd, 1888, S. 226 ff. Die Analyse der Könperschönheit in lauter
Vorstcllungsassociationen geht aber psychologisch meines Erachtens
noch nicht weit genug, wenn sie bei Vorstellungen stehen bleibt,
sondern muss auf das Gefühl zurückführen, das Körpergefühl (Form-
sinn), das im naiven Schaffen wie Geniessen entscheidet. Darin
liegt das Recht von Fr. Merkel (Dtsche Rundschau 1888, p. 423i),
der dieser psychologischen Seite der Frage freilich allzu fern bleibt.