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und
Malerei
Plastik
Schon in der Dämmerung wird die Hegemonie
unsres Auges unsicher, und im Dunkel der Nacht
verliert es sein Vortrittsrecht vollends. Da ist das
Gemälde auf der Wand für uns überhaupt nicht vor-
handen, das Ölbild im Rahmen nur eine Holztafel
oder eine Leinwand, kein Bild. Beim Werk der
Plastik aber bleibt das Gebilde des Künstlers auch
ungesehen ein reales Ding, dessen Beschaffenheit
durch andre Sinne wahrgenommen werden kann.
Wir können seine Formen mit den Händen abtasten
und herumgehend von allen Seiten die Existenz, den
Standort und das Volumen des Körpers konstatieren.
Ob wir dabei auch eine deutliche Formvorstellung
gewinnen, ist eine andre Frage, die nur mit Hülfe
der experimentellen Psychologie beantwortet werden
kann. Wenn bereits Erinnerungsbilder des vorher
gesehenen Gegenstandes mitspielen, liegt die Sache
natürlich schon anders, als wenn dies nicht der Fall
istl) Iedenfalls aber kommt bei dem vollrunden
Körper der Wechsel des Standpunktes, die Orts-
bewegung mit ihren Beiträgen ebenso zu Statten, wie
dies bei einem Architekturwerk der Fall ist, in dessen
Innenraum wir ausserdem noch tastend umher-
schreiten können. Und daran eben liegt uns hier.
So wenig eigentlich solche Orientierung über ein
Kunstwerk im Dunkeln für die ästhetische Aufnahme
I) Ganz ungenügend sind natürlich die Untersuchungen über
die sozusagen passiven Erfahrungen bei der Berührung der Haut-
oberßiiche unsers Körpers. Vgl. z. B. te Peerdt a. a_ O. 24f. Für
die Kunstpsychologie kommt es auf die aktiven Äusserungen des
Getasts