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Plastik
und
Malerei
Und die Entstehung der Tiefendimension fuhrt aber-
mals auf uns selber zurück; sie geht vom Subjekt
aus. Seine vorwärts gerichtete Organisation, seine
ausgreifenden Arme, seine ausschreitenden Beine mit
ihren Erfahrungen der Ortsbewegung, seine vorwärts
gerichteten Augen, deren Sehkraft sich erprobt, in-
dem der Blick in die Weite dringt, seine all dies
zusammenfassende Vorstellung, die „in die Tiefe
strebt", bringen diese Ausdehnung erst aus embryo-
nalem Zustand zur vollen Entwicklung. Die Kunst
der Malerei kann nur allmählich, mit verfeinerten
Mitteln des Augenscheines, nacheifern, wenn das
Fernbild sich für uns mit einem "latenten Gehalt
von Bewegungsvorstellungen erfüllt hat", die es nur
auszulösen gilt für unsre Anschauungsform.
Davon sind jene frühen Perioden der Malerei
noch weit entfernt, eben weil sie unmittelbar für die
poetische Vorstellung arbeiten. Die Gegenstands-
Vorstellung bleibt die Hauptsache. Ein lineares
Zeichen bis zum erkennbaren Umriss, ein dunkler
Fleck auf hellem Grunde, oder umgekehrt hell auf
dunkel, bis zur wirksamen Silhouette genügen, um
in ihrer Aufreihung und Folge, wie sie abgelesen
werden, nacheinander die Beziehungen zu vermitteln,
einen Vorgang zwischen ihnen zu erzählen, einen
höheren Kausalnexus aufzuweisen. Die zeitliche Auf-
fassung übernimmt zu leisten, was Höhe, und Breite
für die räumliche Auseinandersetzung nicht ver-
mögen, und die successive Anschauungsform über-
wiegt noch, wie in der Dichtkunst und Mimik, den
beredteren Nachbarinnen, bei weitem die simultane