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Die
Relief kunst
Hier stellen sich auch im Fortgang der histo-
rischen Entwicklung alle Folgerungen ein, die sich
unter der Herrschaft der Raumperspektiire ebenso für
die körperlichen Bestandteile ergeben: die Ver-
kleinerung ihres Mafsstabes schon im Vordergrund,
die Gleichstellung der organischen Geschöpfe mit
den Baugliedern der Architektur oder mit andern
Gegenständen, die zur Bezeichnung des Schauplatzes,
der umgebenden Welt dienen. Nur dieses Tief-
relief entspricht also allen Bedingungen und allen
Anwartschaften des Fernbildes, wie es unser Seh-
feld eröffnen mag. 1) Aber es setzt sich im Inter-
esse der „Bildvorstellung" auch über die letzten
Rücksichten auf annähernde Übereinstimmung mit
der Körperform in natura, besonders in der Dicke,
vollends hinweg. Ebendeshalb haben alle Verehrer
des klassischen Reliefs der Griechen stets Einspruch
dagegen erhoben, und auch Hildebrand sollte wol
vor dieser Konsequenz seines Princips zurück-
schrecken.
Eine ganze Entstehungsgeschichte dieses male-
rischen Tiefreliefs aus verschiedenen Anläufen stellt
uns die Reihe von zehn "Erzbildern" an der Porta
del Paradiso von Ghiberti am Baptisterium zu Florenz
vor Augen. Ein weiteres lehrreiches Beispiel sind
die Kanzelreliefs von Benedetto da Majano, die wir
sogleich eingangs erwähnten. Diesseits der Alpen
I) Ob diese Art des Tiefrel-iefs aber die Forderungen erfüllt,
die Hildebrand mit der "einheitlichen Tiefenvorstellung" in der
Reliefanschauung vom entfernten Standpunkt geleistet glaubt (S. 67),
das ist eine andre Frage.