Gemälde und Relief
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Der Gegensatz der Bedingungen zwischen Ma-
lerei und Plastik in diesem Fall ist klar: das ge-
rahmte Bild ist selber verhängbar; aber es Weist
dem Beschauer stets, je bestimmter die Modellie-
rung der Gestalten durch Hell und Dunkel oder die
perspektivische Darstellung des Raumes durchgeführt
sind, desto zwingender seinen Standort an, von
dem es als Ganzes betrachtet sein will. Das Relief
dagegen hat als tektonischer Bestandteil einer Wand
seinen festen Standort, während der Beschauer seine
Stelle wechselt, wie das Tageslicht mehr oder min-
der erheischt; je stärker die Modellierung, je
höher das Relief, desto abhängiger ist er von der
Beleuchtung am Orte, je flacher das Relief, je „durch-
gängiger es das Licht auffangt", desto freier auch
die Verschiebbarkeit des Standpunktes, und zwar
nicht allein in der Parallele zum Bildwerk, sondern
auch in der Distanz.
Damit sind wir zu einem neuen Vxlidcrspruch
zu Hildebrand geraten, der auch für das Relief wie
für das Gemälde verlangt, dass alle räumlichen Be-
ziehungen und alle Formunterschiede von einem
Standpunkte aus, sozusagen von vorn nach
hinten abgelesen werden.
Was wir von Rafaels Komposition in Relief-
übertragung behauptet haben, gilt unseres Erachtens
auch von dem klassischen Relief der Griechen, mit
dem wir sie verglichen. Dagegen giebt es in der
Geschichte der Reliefkunst, sowol im Altertum wie
in neueren Zeiten Beispiele genug, in denen die F or-
derung Hildebrands, d. h. die Anweisung eines festen