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Relief Anschauung
sehene Natur" als die Ferne dahinter. Nehmen wir
diesen landschaftlichen Hintergrund vollends weg und
beschneiden den Karton oben so weit, dass die Höhe
der Hauptfigur das Mafsgebende wird für die neben-
einander gereihte Schar der jünger, so ist damit das
malerische Interesse sozusagen auch beschnitten und
das plastische gewinnt die Überhand, zumal wenn wir
von dem poetischen Interesse an dem dargestellten
Vorgang und an der Charakteristik der Individuen
noch ganz absehen. Wir können auf diese Reihe von
menschlichen Körpern das Experiment mit den bei-
den Glasplatten vorn und hinten anwenden und sagen,
diese Figuren leben in einer einheitlichen Schicht
von gleichem Tiefenmafs, und dieses entspricht un-
gefähr dem realen Tiefenmafs der Figur Christi.
Das heisst, das Gemälde ist in die klassische Relief-
vorstellung übertragen. Da diese Gestaltenreihe je-
doch gemalt ist, d. h. Schatten und Licht in fester
Verteilung darbietet, so kann sie befriedigend für
unser Auge nur für den bestimmten Standpunkt
wirken, für den sie berechnet ist.
Denken wir uns dagegen die nämliche Gestalten-
reihe plastisch ausgeführt, etwa in Marmor- oder Stuck-
relief, so enthält sie nicht selbst mehr die bestimmte
Verteilung von Licht und Schatten, sondern muss
diese vom wechselnden Tageslicht erwarten, sei dies
unter freiem Himmel oder unter der vorherrschend
einseitigen Beleuchtung in einem Innenraum. je nach
der stärkeren oder schwächeren Verschiebung, die
im Verhältnis der Schatten und Lichter eintreten kann,
wird auch der Standpunkt des Betrachters variabel.