Lebensabend und Tod.
Charakteristik.
Während sonst seine Schreibkalender blos Familienangelegenheiten gewidmet
sind, nehmen jetzt Notizen wie „Länge der Dresdener Brücke 315 Schritte,
Mai 1812 Napoleon in Dresden angekommen, 26. Mai König von Preussen
angekommen, 29. früh 4 Uhr Napoleon abgereist, 14. December ist Napoleon
hier durch, 19. März 1813 ist die Brücke gesprengt worden, 27. März zogen
die Franzosen ab, 24. Alexander und König von Preussen angekommen" etc.
das Hauptinteresse in Anspruch. Ganz missmuthig wurde er erst Ende Mai
1813. Als nach der Schlacht bei Bautzen 17000 Vewundete in Dresden an-
kamen und, da die Hospitäler der Stadt nicht ausreichten, in der Pirnaer
Vorstadt und in der Altstadt in die Bürgerhäuser verlegt wurden, I) sah auch
er sich genöthigt sein beinahe ein halbes Jahrhundert von ihm bewohntes
Arbeitszimmer, die Werkstätte seines Ruhmes, den Sitz seiner Bequemlichkeit
und die Wiege so mancher erfreulichen Erinnerungen zu verlassen und in die
Rampische Gasse zu seiner Tochter überzusiedeln.
Seitdem geht eine Unzufriedenheit durch seine Briefe hindurch. „Von
mir haben Sie ungefahr seit sechs Monaten nichts hören können", schreibt
er an einen Freund in Winterthur, „weil man nicht schreiben noch reisen
konnte. Unsere Lage hier ist traurig, unaufhörlich Einquartirungen, Unruhe
und Angst, mit Gefahr Alles zu verlieren. Seit einem Jahre, mein lieber
Freund, bin ich kein glücklicher alter Mann; wenn ich eine Möglichkeit sehen
könnte selbst nach der Schweiz zu kommen, so würde ich es noch in meinem
Alter wagen; lange kann ich doch nicht mehr in diesen unruhigen Zeiten
leben; ruhiger, glaube ich, ist es doch bei Ihnen als hier; der Himmel ver-
hüte nur, dass sich das Kriegstheater nicht noch in Ihre Gegend ziehen
möge".2) Er denkt ernstlich daran noch gänzlich nach Winterthur überzu-
siedeln. Als er demselben Freunde einige Gemälde überschickte, fügt er hin-
zu: „Ich wollte, ich hätte die Bilder selber gebracht, so wäre ich bei Ihnen,
wo ich jetzt so gerne wäre, da sich die guten Zeiten für mich hier zu Lande
verloren. Behalt' ich Leben und Gesundheit, so ist vielleicht auf dieser kurzen
Laufbahn noch ein Viertelstündchen für mich zu Winterthur aufgehoben".3)
Er hatte sich getäuscht, sein Lebensfaden war zu Ende. Er hatte kaum
14 Tage seine alte Wohnung verlassen, als ihn eine Art Nervenfieber befiel,
dem er nach zwölftägigem Krankenbette erlag.
„Am 22. Juni Abends gegen 8 Uhr verschied unser innigst geliebter
Vater, Anton Graff, Professor bei der königl. Sächs. Maleracademie, nach
rztägiger Krankheit am Nervenfieber, 76 Jahr 7 Monate alt. Dieses für uns
so traurige Ereigniss machen wir hierdurch allen auswärtigen Freunden und
I) Aster, Die Kriegsereignisse in und um Dresden im Jahre
2) Hegner, Leben und Charakteristik Anton GrafPs.
3) Hegner a. a. O.
1313"