Einleitung.
Die Erinnerung an die Schönheit der untergegangenen
Welt war nie ganz erloschen, selbst in den "iinstersten" Zeiten
des Mittelalters lassen sich zahlreiche Spuren einer solchen
nachweisen I), aber sie war umdüstert, umnachtet und vielfach
entstellt, man ahnte mehr die Schönheit, als dafs man sie ern-
pfand. Da ergriff plötzlich mit heiliger Glut ein gewaltiger
Drang die Gemüter, und ein heifses Sehnen ging durch aller
Herzen, sich ganz in das Altertum zu versenken, von dessen
einstiger Herrlichkeit gewaltige Trümmerreste zeugten. Je mehr
man den Untergang der schönen Kunstwelt beklagte, urn so
reger und lebhafter wurde der Wunsch, dieselbe wieder neu
erstehen zu lassen. Eifrig spürt man allen Resten nach, be-
deutende Ausgrabungen werden mit Erfolg betrieben, Anlagen
von Antikensammlungen entstehen und ein methodisches Stu-
dium der Archäologie beginnt sich zu regen; auch die grofsen
Philosophen werden entweder wie Aristoteles aus falscher Hülle
befreit oder wie Platon aus der Vergessenheit hervorgeholt,
und es erhitzen sich die Gemüter, indem sie für den einen oder
den anderen Partei ergreifen; man vertieft sich in die römischen
Dichter und Historiker und sucht auch die Gestalten Homers,
dem man sich nur mit heiliger Scheu nahte, und zu dessen Ver-
ständnis man erst spät gelangte, in der Phantasie lebendig
werden zu lassen. Und je tiefer man eindringt, je näher man
sich der alten Welt fühlt, um so klarer wird das anfangs noch
dunkle Bewufstsein, dafs man selbst ein Nachkomme derselben
und wohl berechtigt ist, ihr Erbe zu sein. S0 kommt in die
Bewegung ein patriotischer Zug, der treibend wirkt. Alte
Römergestalten, vornehmlich Stoiker, ja auch Griechen wie
Pythagoras und Sokrates werden als Muster und Vorbild hin-
gestellt, so harmonisch und in sich abgerundet zu werden wie
sie als ein hohes Ziel gepriesen. Es ist dies ein ästhetisches
Element, aus dem sich am deutlichsten begreift, wie eng mit
dem Humanismus der Trieb nach künstlerischer Gestaltung zu-
satnmenhing, und wie fördernd jener auf diese wirken mufste.
Wie aber stand es um die kirchlichen Verhältnisse? Die
1) A. Springer, Das Nachleben
neueren Kunstgeschichte. Bonn
der
der Antike
1867.
im
Mittelalter
Bilder
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