Wird aber nicht auch von Unredlichen mit Religionen und
anderen den Menschen heiligen Dingen Unfug getrieben, werden
diese nicht auch oftmals zu unlauteren Zwecken missbraucht? Das
Nackte deshalb aus der Kunst zu verbannen, Wäre kleinlich, Wäre
Thorheit.
Mit demselben Recht könnte man den Genuss geistiger Getränke
verbieten, weil sich viele dadurch zu Grunde richten.
Nachdem Fenollosa bei den Griechen den Missbrauch des Nackten
zur Zeit ihres Verfalles im zweiten und dritten Iahrhundert vor
Christus verdammt, preist er den Triumph der christlichen Kirche,
die griechische und römische Ideale stürzte, das Nackte in der Kunst
wie in den Sitten der Völker verbannte.
Nur in bekleidetem Zustande stellte die Kunst, wie Fenollosa
fortfährt. vom vierten bis fünfzehnten Iahrhundert den Menschen dar.
denn bei den gesunden, moralischen und kräftigen Sitten der nörd-
lichen germanischen Rassen, die nun die Oberhand hatten, konnte
das Nackte nie und nimmer Platz greifen. Aber als im fünfzehnten
Jahrhundert die klassische Kunst in Italien die sogenannte Wieder-
geburt feierte, basierte diese auf dem Studium beschädigter Ueber-
reste einer bereits verkommenen klassischen Kunst.
Fenollosa führt ferner an, dass Während des fünfzehnten Jahr-
hunderts Filippo Lippi, Boticelli und andere Zeitgenossen vor-
wiegend bekleidete, und nur um mythologische Scenen zu verkörpern,
nackte Figuren malten. Erst dem verdorbenen sechzehnten jahr-
hundert blieb es vorbehalten, durchaus heidnisch und sinnlich zu
werden, üble klassische 'l'raditionen lebten wieder auf und verdrängten
christliche Tugend.
Als eine widerliche Manier, meint Fenollosa weiter, kam dieser
üble Brauch, das Nackte darzustellen, auf die meisten europäischen
Künste bis auf unser ]ahrhundert: er verdammt die scheuss-
liche Nacktheit kolossaler Rubensgemälde, die von dem Wahnsinn
zeugen, griechische Anschauungen in nördliches Klima, auf nörd-
liche Rassen zu verpflanzen. Seit dem Beginn unseres Iahrhunderts
kam eine neue Triebkraft in die europäische Kunst, der Realismus,
der darauf hinausging, unsere Zeit naturgetreu wiederzugeben. So
wurde die klassische Freiheit, das Nackte in der Kunst darzustellen,
durch die Behauptung der Kunstleiter, das Studium nackter Modelle
müsse das Hauptstudium der Schüler bleiben, in erste Linie gerückt.
Unter den vielen Gründen, die lilmollosa gegen die Darstellung
des Nackten in der modernen Kunst anführt, ist der vorwiegend,
dass europäische Frauen ganz besonders in der Anschauung erzogen