Volltext: Vorträge über Plastik, Mimik und Drama

im Vergleich mit der Antike. 
nach dem Schema der Theorie, welche er in diesem Buche aufstellen 
wollte, die Formen sich in Gedanken construiren konnte, welche sie in 
jeder Lage annehmen, auch wenn er sie gar nicht gesehen hätte. Der 
Grieche kannte sie nur in den Lagen, in denen er sie im Leben ge- 
sehen hatte, und konnte sie nur so darstellen. 
Und nicht einmal in diesen hat die Antike wirklich in Bezug auf 
die Bewegung die Natur so richtig dargestellt wie Michelangelo. Die 
Knochen haben keine merkliche Biegsamkeit. Soweit also ein einziger 
Knochen reicht, ist wirklich keine sichtbare Bewegung, und auch wo 
Knochen fest aneinander gewachsen sind, wie z. B. die unseres 
Kopfes, ausgenommen den Unterkiefer, da kann sich nichts verändern. 
Nur in den Gelenken, in den Verbindungsstellen der Knochen, wo 
sie wie Stücke einer Maschine durch Charniere oder dergleichen Ein- 
richtungen verknüpft sind, ist eine bestimmte Beweglichkeit möglich, 
am lebendigen Leibe ebensogut wie an einer Gliederpuppe. Wenn 
nun auch die Knochen von Weichtheilen umhüllt sind, so sieht man 
doch durch, dass sie sich nur an den bestimmten Stellen der Gelenke 
gegen einander anders stellen können, dagegen zwischen denselben 
vollkommen steif bleiben. Die Griechen stellen dies nicht immer 
ganz genau so dar. Zwar lassen sie natürlich die Glieder sich auch 
nicht biegen, wie wenn sie von Wachs Wären, sondern unterscheiden 
deutlich die geraden Stücke der Arme und Beine von den Knickungen 
der Ellbogen und Kniee. Sie nehmen es aber damit doch nicht 
scharf. Sie steigern oder mildern, wie wir es nennen Wollen, d. h. sie 
verbreiten etwas die Wirkung der Bewegung auch über die bestimmten 
Punkte der Gelenke hinaus, als wenn doch auch die Knochen ein 
wenig weich wären und dem Zuge der Muskeln, die an einem Gliede 
biegen, etwas nachgeben könnten. Dies kann unmöglich nur ein ge- 
legentliches kleines Versehen der Technik sein; denn es ist bei den 
vorzüglichsten Werken an Stellen zu sehen, wo es ein Anfänger hätte 
vermeiden können, wie z. B. an mehreren Köpfen aus der berühmten 
Statuenreihe der Niobiden sogar das Gesicht etwas nach der Seite 
hin verbogen ist, wohin es sich wendet, und also, wenn man es von 
vorn ansieht, gar nicht mehr symmetrisch. Sie sind aber auch gar 
nicht darauf berechnet, dass man sie so gerade von vorn sehen soll, 
um dies zu bemerken. So wie man sie sieht, in der Wendung des
	        
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