Der Ausdruck des
Gesichtes,
offenbar die Künstler, denen es gelingt, einen Eindruck aus dem Leben
im festen Bilde, in Farbe oder Stein so festzuhalten, dass er noch seine
Wirkung macht. In ihren Werken werden wir die wirksamsten Ein-
drücke iixirt und in ihnen am leichtesten die Gelegenheit finden, das-
jenige zu zergliedern, worin der Grund der Eindrücke liegt.
Wenn wir nun versuchen wollen, durch Analyse von einigen
solchen Beispielen dem Eindrücke, den besonders der Ausdruck des
Gesichtes hervorbringt, auf den Grund zu gehen, dürfen wir es uns
wohl schenken, zuvor, wie dies bei solchen Versuchen sonst üblich
ist, auf die Geschichte der schwachen Anläufe zurückzugreifen, welche
die alte sog. Physiognomik genommen hat, um eine Uebereinstimmung
innerer Eigenschaften des Menschen mit Zügen der ausseren Gestalt,
besonders seines Hirnschädels nachzuweisen, oder auf die mehr oder
weniger sinnreichen Spiele der Phantasie, deren Anfänge auf keinen
Geringeren als Aristoteles f) zurückgehen, und den eigenthümlichen Ein-
druck mancher Menschengesichter aus ihrer Aehnlichkeit mit gewissen
Thieren herleiten wollten.
Ich brauche auch kaum noch auszuführen und zu begründen,
dass es sich überhaupt nicht um die Eigenschaften der festen Form
des Gesichtes oder des ganzen Körpers handeln kann, wenn wir nach
dem Grunde von Eindrücken suchen, durch welche sich geistige Gaben
des Menschen ausserlich kund geben._ Die reine Form des Gesichtes,
die Schönheit oder Hässlichkeit desselben, ebenso wie die Familien-
oder Volkstypen derselben lassen sich als solche sehr wohl zer-
gliedern und nach ihren Proportionen oder der Gestalt ihrer Theile
im Einzelnen feststellen; aber sie sind es nicht, in denen wir
Charakter oder Stimmung des Menschen wie im Bilde erblicken und
erkennen. Schönheit oder Hässlichkeit erregen ein rein sinnliches
Wohlgefallen oder Missfallen und wirken dadurch auch dazu mit, uns
anzuziehen oder abzustossen; aber dabei ist kein richtiges oder falsches
Gefühl oder Urtheil darüber, welche geistige Gaben wir einem
Menschen zutrauen, im Spiele. Es unterliegt keinem Zweifel, dass
sich hinter einem schönen Gesichte ebenso gut ein edler wie'ein schlechter
Charakter verbergen kann.
i) Die grössten Männer scheinen auf diesem Gebiete kein Glück zu haben.
Auch die grossen Physiologen Charles Bell und Johannes Müller haben sehr
schwache Beiträge zur Bearbeitung desselben geliefert.