Anwendung auf Schillers Wallenstein.
mit
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Sind Wir so von den Bestandtheilen der Tragödie zu einer Nach-
wirkung der von ihr erregten Eindrücke gekommen, die sich nur in
dem Geiste, der sie aufgenommen hat, in Zusammenhang mit ihnen
fortgesetzt, so ist es schliesslich wohl am Platze, bei diesem selbst,
dem emptindenden Subjekte noch einen Augenblick stehen zu bleiben;
denn eine bestimmte ltlmpfängliehlaeit für die Mittel, mit denen die
Tragödie arbeitest, ist (loch am Ende auch ein Hauptorgan zur Er-
reichung ihrer Wirkung.
Den Personen gegenüber muss der Zuschauer im Stande sein
sich an ihre, besonders der Hauptperson Stelle zu versetzen. Er muss
daher wie sie kein einseitig ausgebildeter Charakter, sondern den ver-
schiedensten Neigungen im Wollen und Empfinden zugänglich sein.
Eine sehr ruhige, energisch zusammengefasste Persönlichkeit wird
nicht verstehen, wie ein grosser Mann sich von Affekten kann hin-
reisscn lassen; eine zu feinfühlende Seele dagegen wird eine stolze
Gegenwehr gegen das Schicksal nicht zu fassen im Stande sein. Sehr
cigenthümlieh gebildete Charaktere werden nur mit ihresgleichen
sympathisiren, nur da reines Mitleid empiinden, wo eine ähnliche
Natur betroffen ist.
Dem Verlaufe der gegenüber muss der Zuschauer im
Stande sein, ihren zwingenden Gang schnell aufzufassen, von den
Eindrücken, die die Helden betreffen, die notlnvendig erfolgende
Handlung sogleich zu erwarten. Ein gewisser (wlrad von Erregbarkeit
und schneller Entschlossenheit gehört zur rechten Auftessung einer
tragischen Veiwviekelung. Für (rin zu geduldiges Abwarten hat sie nur
die Wirkung des Staunens über eine ztusserordentliehe Folge von Er-
eignissen, wozu eine Erzählung auch genügen würde. Den grossen
_Ideen, die in der Brust heroiseher Menschen arbeiten, oder sie über-
wältigen, muss der Zuschauer aueh schon offen sein, wenn sie ihm
in ihrer ganzen Grösse aus der Handlung heraus entgegentreten
sollen.
Was aber dem Zuschauer von vornherein durchaus noch nicht
geläufig zu sein braucht, ist der innere Conflikt, der in unglücklichen
Verwiekelungen aus jenen Anlagen zum starken Streben und Leiden
hervorgeht, Im Gegentheil, wer selbst in tragischen Verwiekelungen
steckt, wird sie schwer ausser sich mit ästhetischem Wohlgefallen an-
schauen. Das reine Mitleid fordert die Fähigkeit zum Leiden, aber
Henke, Vorträge. 15