200
der
Anatomie
Tragödie
"Sieh, deine reinen edeln Ziige wissen
"Noch nichts von dieser unglücksePgen Tliat,
"Nur deine Einbildung befleckte sie,
"Die Unschuld will sich nicht vertreiben lassen
„Aus deiner Hoheit bliekenden Gestalt."
Dies soll auch keine Täuschung sein; denn auch nachdem der Ent-
schluss zu dem Verbrechen gefasst ist, das die Wilde Herrschsucht
zu wagen antrieb, ist sich Wallenstein selbst noch aller besseren sitt-
lichen Motive klar bewusst, die ihn hätten davon abhalten müssen,
und ist mit stetem innerem Widerstreben in das Netz der Versuchung
gegangen, in das er sich arglos spielend verstrickt hat. Freilich sind
auch sonst schon alle rein menschlichen Zuge in ihm durch den be-
ständigen Reiz zum alleinigen Ringen nach Ansehen und Einfluss, der
in seiner ganzen Laufbahn gelegen hat, ziemlich verdunkelt und ver-
zerrt, aber doch nicht ganz unkenntlich gemacht. Die Liebe des
Vaters zu seiner Tochter ist freilich nur eine ziemlich äusserliche,
wenig tief menschlich eingehende, wenn sie nur darauf ausgeht, eine
Krone auf ihrem Haupte sehen zu wollen, und die Wünsche und
Neigungen in ihrem eigenen Herzen spöttisch gering schätzt; aber als
ihr zertretenes Glück ihm zu Füssen liegt, erwacht doch ein innigeres,
verwandteres Verständniss dafür in ihm als in der übrigen theil-
nehmenden Familie. Sein blindes Vertrauen zu einzelnen Personen
hat sich freilich zu einer Thorheit ausgebildet; aber es ist eine Thor-
heit, die eine fast kindlich unverdorbene Seele erscheinen lässt.
Wenn sich nun alle diese Zuge doch bei Wallenstein in der That
nicht so frei und offen enthüllen, wie man es sehen möchte, ehe sie
verhüllt werden, so bedurfte er mehr als andere tragische Helden
der Ergänzung durch eine Nebeniigur der Art, wie sie die edlere
Seite einer heroisch gemischten Natur abspiegelt, ohne den Zusatz
der dämonisch entgegen arbeitenden bösen Neigung seines Innern.
Eine solche idealische, rührend ansprechende Seiteniigur ist darum
hier so ausgebildet wie in keiner andern klassischen Tragödie, eben
so glatt ausgesondert und scharf dem ganzen Helden zur Seite ge-
stellt, wie das Gegentheil, der nur dämonische Theil neben Faust in
Mephistopheles. Schiller selbst sagt von Wallenstein: "um ihn für
uns zu gewinnen, war Max schlechterdings nöthig." Wallenstein
selbst kommt sich durch den Tod des jungen Freundes kurz vor
seinem eigenen schon wie verstümmelt vor und blickt auf ihn wie