mit Anwendung auf Schillers
Vvallenstein.
195
Persönlichkeit einen grösseren Massstab der Menschheit in uns selbst
finden. Wir können dann denken wie der Teinpelherr in Lessings
Nathan: „ich will mit Männern lieber fallen als mit Kindern stelin."
In dieser hervorragenden Stellung des Helden, in dessen grossem
Thun und Leiden wir ganz aufgehen sollen, kann sich in der Regel
nur Eine Person in jeder Tragödie beiinden. Denn je mehr wir uns
an ihre Stelle denken, um so mehr müssen wir den Eindruck aller
andern sie umgebenden Menschen an ihrer Stelle auch auf uns wirken
lassen, alle andern also uns gegenüber denken. An ihnen darf uns
also auch immer mehr unterscheidende Charaktereigenthümlichkeit
auffallen. Dies gilt aber nicht von allen Nebenpersonen gleich sehr.
Die einen stehen dem Helden so nahe, dass sie fast gleich mit diesem
handeln und empfinden, dass wir also auch mit ihnen uns gleich
fühlen können, ohne dem Antheil an dem Haupthelden entfremdet
zu sein; die andern stehen ihm feindlich gegenüber, müssen also auch
uns stets fremd bleiben und von aussen auf uns einwirken.
Unter den Personen, die dem Helden zur Seite stehen, können
wir Wieder zwei Gruppen unterscheiden, solche, die mehr empfind-
lich als er, sein Leiden gmmz, und ohne die Fähigkeit es abzu-
wehren, mii ihm durchmachen, und solche, die mehr entschlossen als
er, auf sein Thun einen entscheidenden Einfluss ausüben. Während
in ihm Abhängigkeit und Selbstbestimmung sich mischen, erscheint
in diesen beiden neben ihm beides gesondert.
Die Personen, welche den Haupthelden als nächste Theilnehmer
an dem, was ihnen begegnet, zur Seite stehen, brauchen keinen An-
theil an dem dämonischen Zug des unbändigen Willens zu offenbaren,
wodurch jene ihr Schicksal herbeiführen, sondern nur lebendige
Empfänglichkeit für die Wirkung. In dieser Reihe stehen daher die
reinsten und zartesten Gestalten des ganzen tragischen Spieles. Es
gehören dahin die Personen, welche mit den Haupthelden durch die
nächsten menschlichen Bande vereinigt sind, und dadurch von Allem,
was ihnen begegnet, mitbetroffen werden, Verwandte, Freunde und
besonders treue Liebende, wie Portia, die Gemahlin des Brutus im
Julius Cäsar, wie Egmonfs Clärchen und Leonore, die Frau des
Fiesco. Sie beobachten die feinsten Aeusserungen der gewaltigen Er-
schütterungen, von denen die Brust des Helden bewegt wird, wenn
sie nochkein anderes Auge bemerken würde, und zeigen sie uns.
13""