Volltext: Vorträge über Plastik, Mimik und Drama

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der 
Anatomie 
Tragödie 
Der feurige Geist, der ihn für jeden Reiz von Grösse und Schönheit 
so empfindlich macht, diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge 
spiegelt, diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei jedem Leiden in 
weinende Sympathie dahinschmelzt, dieser männliche Muth, das Alles 
sollte ihn "zu einem "Helden, zu einem grossen, grossen Manne 
machen". 
Das alles sind Züge nicht eines eigenthümlichen, aber eines be- 
deutenden Menschen, für den die kleinlichen Schranken der Aengst- 
lichkeit, der Verstellung, der Lauheit, nicht existiren. Angeborene 
Freiheit, Wahrheit und innere Wärme des Geistes sind allen tragischen 
Hauptpersonen zukommende, für sie gewinnende Charakterzüge. Das 
Alles hindert nicht die Versetzung jedes Menschen, der überhaupt ein 
Kunstwerk geniessen kann, in die Stelle des Helden. Denn jeder 
bildet sich leicht und gern ein, dass diese Eigenschaften auch in ihm 
nur schlummern und sich zeigen würden, wenn er auch in die zu 
ihrer Entfaltung nöthige ausserordentliche Lage käme. In der That 
zeigt sich dann auch bei dem Helden erst nach und nach die voll- 
kommene Erhebung über das gewöhnliche Mass durch das ungewöhn- 
liche Schicksal, durch die Kämpfe, die in ihm sich bewegt haben. 
Er steigt auf eine Stufe der Freiheit und stolzen Sicherheit seiner 
selbst, auf der ihm der gewöhnliche Mensch, der in ruhiger Ueberein- 
stimmung mit sich selbst fortlebt, nicht mehr ebenbürtig ist. Daher 
zeigen die tragischen Helden, besonders gegen das Ende, kein feines 
Ehrgefühl. Sie werden nicht von dem berührt, was den gewöhnlichen 
Menschen beleidigt. Als die letzten Römer in Shakespeares Cäsar 
zum letzten Mal mit ihren Gegnern reden, braust Cassius auf bei den 
Schimpfreden derselben, Brutus beantwortet sie ruhig,  fast freund- 
lich, und erscheint gerade darin als der grössere, den die Schmerzen 
um die zu Grabe gehende Freiheit weit über kleine persönliche Reiz- 
barkeiten erhoben haben. 
Von solchen Helden kann man es fassen, dass sie sich rücksichts- 
loser als andere von ihren starken Empfindungen, wenn dieselben 
einmal deutlich durchgedrungen sind, zum Kampfe mit überlegenen 
Mächten, seien es physische oder moralische, hinreissen lassen, dann 
aber auch die ganze Wucht des Schicksals zu tragen im Stande sind. 
Dadurch wird die Theilnahme an dem, was sie thun und leiden, ein 
so reines und erhebendes Gefühl, weil wir mit dem Eingehen in ihre
	        
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