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Kunst der Blimik.
Vielmehr kann
wahr sein soll.
sie
weit
eher
lehren
und
vorbildlich
darstellen ,
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Aber gewisse Typen giebt es allerdings im Leben, die denen,
welche die Kunst in verschiedenen Stilarten ihrer Darstellung fixirt,
einigermassen entsprechen mögen, Typen der Zeit und der Nation,
der Bildungsstufe und der Individualität. Der rohe Mensch lässt sich
gehen, und besondere Bewegungen, mit denen er etwas ausdrückt,
macht er nur in primitiv einfacher Art; feinere Empfindungen hat er
nicht. Der Durchschnittsmensch der Bildung dagegen hat sich ein
gewisses conventionelles Mass von Zucht und Ordnung in seinem
Denken und Thun, und so auch im Gebrauche seiner Gliedmassen,
angeeignet, welches man, wenn es zu einer stilhaften Abrundung ge-
langt, selbst eine Art Kunstwerk darstellt, Anstand und Würde nennt.
Der bedeutende Mensch, welcher sich auch über dies Mass hinaus
noch frei gehen lassen kann, verschmäht diesen Zwang. Er ruht auch
körperlich wieder mehr in sich und folgt nur den Impulsen des
geistigen Lebens mit einzelnen, entschiedenen körperlichen Geberden.
Und dies gilt uns als wahr, und danach beurtheilen wir die Menschen.
In einem soeben erschienenen naehgelassenen Werke meines Vaters
finde ich bei Gelegenheit der Gesten, die ein Prediger bei seiner Rede
machen kann, darf oder soll, die Bemerkung: „eine kraftvolle, rasche
Bewegung, welche unwillkürlich erfolgt, wird immer ein eehteres
Zeichen innerer Bewegung sein, als alle noch so ästhetisch schönen
Wiellenbew egungen. "t
Die Menschen des Alterthums müssen viel Anstand gehabt haben,
wenn wir nach dem in den Werken ihrer Künstler {ixirten Ideal ihres
Lebens schliessen dürfen, und noch heute haben die südlicheren
Völker Europas viel von dieser Anmuth und Würde, die den ganzen
Körper gleichmässig beseelt. Wir Modernen, insbesondere wir Ger-
manen, haben weniger Grazie, mehr Ungeberdigkeit, aber auch mehr
unmittelbare Energie, und dadurch im einzelnen Falle mehr Indivi-
dualität im Ausdruck der Bewegung. Wir sind nicht so plastische
Menschen, dafür aber desto dramatischere.