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Zwei
Stil
VOll
Arten
mit seiner offenbaren Tendenz die malerische Wirkung zur Haupt-
sache zu machen, wenn es ihm gelingt, sich als bleibend anerkannter
Stil auf der Bühne zu behaupten. Nicht jede Dichtung aber wird
sich zu dieser Behandlung bequemen, und am wenigsten wird sich
wohl Shakespeare dies auf die Dauer gefallen lassen. Dem Drama
des niemals ruhenden Gedankens gehört die Zukunft, und ihm dient
der redende Stil der Mimik (vgl. das letzte Stück dieser Sammlung).
Wir könnten hiermit schliessen, wenn wir dem Zuge der Zeit in
der Kunstkritik und Kunstgeschichte gemäss damit zufrieden sein
wollen, für jede Art des Spieles ihren Grund, ihre Art zu wirken,
und den Platz, an den sie passt, wo sie mit ihren Mitteln am meisten
zur Geltung kommt, gefunden haben und vielleicht einen historischen
Entwickelungsgang annehmen können, durch welchen sich im Laufe
der Zeit und im Wechsel des Sinnes der Menschen das Eine an die
Stelle des Anderen setzt. Wir könnten darauf verzichten, dem einen
oder anderen Stil eine absolut grössere Bedeutung oder Berechtigung
zusprechenzu wollen. Lessing würde es nicht gcthan haben. Er
begnügte sich nicht damit, an den Werken der Kunst das zu erkennen
und zu würdigen, was sie nur Schönes und Wirksames leisten, sondern
er stellte an jede Kunstform ihrem Wesen nach eine Forderung dessen,"
was sie leisten solle. Er spricht dies gerade gegenüber dem Schau-
spiel gegen das Ende der Dramaturgie sehr entschieden aus. Es soll
nicht nur etwas leisten und wirken, sondern gerade das, was auf keine
andere Art, mit keinen anderen Mitteln zu leisten und zu wirken
wäre. Dieses auf die Frage nach der zweierlei Art von Stil ange-
wendet, die wir in der Mimik unterschieden haben und zuvor
auch in der Malerei, wird dahin führen, dass wir für letztere
immer den Stil der Antike als den vollkommensten gelten lassen
werden, der das, was mit ihren Mitteln erreicht werden kann, auch
am vollkommensten erreicht und auf Weiteres verzichtet, den der
Modernen nur als eine überreife Frucht, die schon zu Problemen
greift, die sich auf anderen Wegen gründlicher lösen lassen. Wenn
aber die Mimik auch nur malerische Effecte erreicht und die drama-
tische Poesie umschreibend daneben herläuft, so sind beide noch nicht
auf ihrer klassischen Höhe angelangt. Wenn dagegen jede Geberde
und jedes Wort des Schauspielers uns einen Schritt im Wege der